Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Otto Merkel, Geschichte der Familie Merkel 1912-1919

Abschnitt 6: Unterricht an der Dillenburger Mädchenschule

[93] Auch die Gesangstunden machten mir rechte Freude. Ich habe den Versuch gemacht, das Notensingen nach der direkten Notenschreiblesemethode zu lehren, wobei wir uns zu den betreffenden Notengruppen den Text selber machten, was große Freude hervorrief. Wir wagten uns übrigens auch an größere Sachen. So begann ich mit den „Zwergen vom Hübichenstein“1, wurde aber leider durch den Krieg darin unterbrochen.

Wenn Geheimrat Dr. Horn zur Abschlussprüfung kam, war er regelmäßig sehr erfreut über den guten Geist der Schule und über die erfreulichen Resultate des Unterrichts. Auch sonst verriet der stets vermehrte Andrang zur Schule, auch von auswärts, dass die Schule einen guten Ruf genoss. So kamen dann auch unsere Abiturientinnen überall auch an großen Lyceen gut mit. Wie ich mich mit dem Kollegium der Mädchenschule gut stand, so war auch das Verhältnis zu dem Lehrkörper der Volksschule, die im selben Haus war, das denkbar beste. Der Senior war der Kollege Knauf. Er war verwitwet, hatte 2 Söhne, die Lehrer sind und eine Tochter, die sich nach Herborn verheiratete, sodass dem Vater nichts übrig blieb, als sich eine Haushälterin zu nehmen, die er später heiratete und in unserer Nachbarschaft in der Baumgartenstraße wohnte. Er stand in dem Rufe, den Stock zu viel zu gebrauchen, wie er überhaupt von seinen Schülern weniger geliebt als gefürchtet zu sein schien. Im ganzen war er bei den Kollegen u. beim Publikum wenig beliebt und machte dem Rektor ziemlich das Leben sauer. Der 2. dem Alter nach war Fink, der ebenfalls verwitwet war und mit seiner Tochter alleine hauste. Sein ältester Sohn war Mediziner und fiel im Kampf mit Frankreich2. Sein jüngster Sohn war geistig etwas minderwertig, wurde Gärtner und machte seinem Vater sehr viel Kummer wegen seines teils tölpelhaften, teils ungeschliffenen u. rohen Benehmens. Die Tochter verheiratete sich später mit dem Taubstummenlehrer Gerhardt von Homberg und zwang dadurch den Vater ebenfalls, eine Haushälterin zu nehmen.


  1. Sage vom Zwergenkönig Hübich und dem Hübichenstein [im Harz, Stadt Bad Grund]. Auf dem Hübichenstein befand sich seit 1895 ein Denkmal Kaiser Wilhelms I.
  2. D.h. im Ersten Weltkrieg an der Westfront.

Recommended Citation: „Otto Merkel, Geschichte der Familie Merkel 1912-1919, Abschnitt 6: Unterricht an der Dillenburger Mädchenschule“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/5-6> (aufgerufen am 20.04.2024)