Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Otto Merkel, Geschichte der Familie Merkel 1912-1919

Abschnitt 5: Unterrichtsmethoden- und Inhalte

[92-93] Wenn dann eine Klasse glücklich ihr Ziel erreicht hatte und die Abgangsprüfung überwunden war, versammelten sie sich mit dem Lehrerkollegium, das gern folgte, zu einem gemütlichen Zusammensein bei Kaffee und Kuchen in Klohmanns Garten, wobei zuweilen die obligate „Kreppelzeitung“ (?) nicht fehlte.

In Naturbeschreibung wurde vorwiegend nach Schmeil gearbeitet, dessen Lehrbücher der Botanik u. Zoologie wohl heute noch die besten Vorbereitungsbücher und auch Schulbücher für diese Fächer sind. In Botanik hatte ich den Schmeil-Fitschen1, Bestimmungsbuch eingeführt und suchte durch Anleitung und Übung im Selbstbestimmen der Pflanzen die Artenkenntnis zu vermehren. In Physik und Chemie benutzte ich Werke der Gebr. Busemann2, welche die Bedürfnisse des Frauenlebens besonders berücksichtigte und die Physik u. Chemie des Hauses u. der Küche trefflich erarbeiten ließ.

Für Erdkunde war noch immer der alte Daniel eingeführt, wurde aber von mir kaum benutzt. Ich bemühte mich mehrmals vergeblich ein neues Lehrbuch einzuführen, konnte es aber nicht erreichen. Recht ausgiebigen Gebrauch macht ich von den vorhandenen Anschauungsmitteln, die ich sämtlich in den Lehrplan an der passenden Stelle eingetragen hatte, sodaß ich bei jedem Kapitel der Stoffverteilung immer die Angabe der vorhandenen Anschauungsmittel hatte

Mathematik wurde nach Geibel und Hecht unterrichtet. Da dies Fach dem normalen weiblichen Geist nicht recht liegt, so waren die Mathematikstunden diejenige, die mir die meiste Arbeit machten. Doch erreichten die Schülerinnen auch hierin ihr Ziel. Um eine ziemliche Ausnutzung der Zeit zu ermöglichen, hatte ich den ganzen Lehrplan für meine Fächer so umgearbeitet, dass ich den gesamten Stoff in lauter methodische Einheiten zerlegt hatte und nun eine wochenweise bzw. stundenweise Stoffverteilung für alle Klassen für das ganze Jahr vornahm. Nach dieser Stoffverteilung wird noch heute an der Schule gearbeitet. [S. 93]

Auch die Gesangstunden machten mir rechte Freude. Ich habe den Versuch gemacht, das Notensingen nach der direkten Notenschreiblesemethode zu lehren, wobei wir uns zu den betreffenden Notengruppen den Text selber machten, was große Freude hervorrief. Wir wagten uns übrigens auch an größere Sachen. So begann ich mit den „Zwergen vom Hübichenstein“3, wurde aber leider durch den Krieg darin unterbrochen.

Wenn Geheimrat Dr. Horn zur Abschlussprüfung kam, war er regelmäßig sehr erfreut über den guten Geist der Schule und über die erfreulichen Resultate des Unterrichts. Auch sonst verriet der stets vermehrte Andrang zur Schule, auch von auswärts, dass die Schule einen guten Ruf genoss. So kamen dann auch unsere Abiturientinnen überall auch an großen Lyceen gut mit. Wie ich mich mit dem Kollegium der Mädchenschule gut stand, so war auch das Verhältnis zu dem Lehrkörper der Volksschule, die im selben Haus war, das denkbar beste. Der Senior war der Kollege Knauf. Er war verwitwet, hatte 2 Söhne, die Lehrer sind und eine Tochter, die sich nach Herborn verheiratete, sodass dem Vater nichts übrig blieb, als sich eine Haushälterin zu nehmen, die er später heiratete und in unserer Nachbarschaft in der Baumgartenstraße wohnte. Er stand in dem Rufe, den Stock zu viel zu gebrauchen, wie er überhaupt von seinen Schülern weniger geliebt als gefürchtet zu sein schien. Im ganzen war er bei den Kollegen u. beim Publikum wenig beliebt und machte dem Rektor ziemlich das Leben sauer. Der 2. dem Alter nach war Fink, der ebenfalls verwitwet war und mit seiner Tochter alleine hauste. Sein ältester Sohn war Mediziner und fiel im Kampf mit Frankreich4. Sein jüngster Sohn war geistig etwas minderwertig, wurde Gärtner und machte seinem Vater sehr viel Kummer wegen seines teils tölpelhaften, teils ungeschliffenen u. rohen Benehmens. Die Tochter verheiratete sich später mit dem Taubstummenlehrer Gerhardt von Homberg und zwang dadurch den Vater ebenfalls, eine Haushälterin zu nehmen.


  1. Ein 1903 erstmals erschienenes Pflanzen-Bestimmungsbuch von Otto Schmeil und Jost Fitschen.
  2. L. und W. Busemann, Leitfaden der Physik und Chemie für Mittelschulen. Nach den ministeriellen Bestimmungen über die Neuordnung des Mittelschulwesens von 1910, 2. Aufl. 1912.
  3. Sage vom Zwergenkönig Hübich und dem Hübichenstein [im Harz, Stadt Bad Grund]. Auf dem Hübichenstein befand sich seit 1895 ein Denkmal Kaiser Wilhelms I.
  4. D.h. im Ersten Weltkrieg an der Westfront.

Recommended Citation: „Otto Merkel, Geschichte der Familie Merkel 1912-1919, Abschnitt 5: Unterrichtsmethoden- und Inhalte“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/5-5> (aufgerufen am 25.04.2024)