Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

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Die Städtischen Schulen in Dillenburg, um 1912/14

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Das Entlassungsschreiben aus der Schulstelle in Biedenkopf für Otto Merkel, 1912

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Die Bestellung Otto Merkels zum Mittelschullehrer an der gehobenen Mädchenschule in Dillenburg, 1912

↑ Otto Merkel, Geschichte der Familie Merkel 1912-1919

Abschnitt 3: Lehrtätigkeit an der Mädchenschule, 1912–1914

[Bd. 2, S. 90-91] Ich wurde in Dillenburg an der damals sog. gehobenen Mädchenschule1 als Mittelschullehrer angestellt mit 600 M. Amtszulage. Meine Fächer waren Mathematik, Erdkunde, Naturfächer und Gesang. Der Leiter der Schule war der Rektor Grävenstein, der zu gleicher Zeit die Stadtschule leitete. Er war ein geborener Bielefelder, Sohn eines Schlossers, war 1 Jahr jünger als ich und stand mir unter dem Einfluß des kleinen Bergschullehrers Dr. Dönges anfangs ziemlich kühl gegenüber. Allmählich wurde jedoch unser Verhältnis wärmer und wir sind zuletzt gute Freunde geworden und geblieben. Er war ein ziemlich zappeliger Herr, wusste aber etwas, war besonders beschlagen in Geschichte, Mathematik, war auch in Französisch geprüft und in Englisch, obwohl seine Kenntnisse in letzterer Sprache weniger tief waren. Seine Frau war auch die Tochter eines Schulmannes, des Rektors h.c. Kemmann.

Grävenstein hatte 3 Kinder. Erwin, der älteste Sohn, war immer kränklich, machte auch im Gymnasium nur mäßige Fortschritte, sodaß ihn sein Vater zuletzt einem praktischen Beruf zuführte. Elschen, das Töchterchen, war begabter und besucht zur Zeit die höhere Mädchenschule. Der Jüngste, Helmut, geht noch in die Volksschule.

Außer Grävenstein und mir unterrichteten noch drei Damen an unserer Schule. Die Älteste war Frl. Emminghaus, die aus alter nassauischer Beamtenfamilie stammte und ein etwas aristokratisches Gebahren hatte. Sie hatte die 50 überschritten und war früher die Leiterin der Schule gewesen, ehe die Schule städtisch geworden war. Deshalb ertrug sie das im übrigen recht sanfte Joch des neuen Rektors nur mit Seufzen. Sie war zwar energisch, doch etwas in ihrer Methode veraltet. Sie hauste mit einer ledigen Schwester allein. Ich bin immer gut mit ihr zurecht gekommen. Die 2. Lehrerin war Frl. Kaemscher, eine Pfarrerstochter aus Wiesbaden. Als ich nach Dillenburg kam, war sie gerade in England zu einem Studienaufenthalt und wurde vertreten durch Frl. Plankemann. Diese war ein kleines zierliches Persönchen, stammte aus Paderborn und ging, nachdem ihre Vertretung in Dillenburg zu Ende war, nach Herborn an die Realschule. Sie war trotz ihrer körperlichen Kleinheit doch eine energische und tüchtige Lehrerin und wurde von allen, die sie kannten, geschätzt. Was und wo sie jetzt ist, weiß ich nicht. Unterdessen kam Frl. Kaemscher wieder. Sie war körperlich jedoch das Gegenteil von Frl. Plankemann, groß und kräftig, mit langsamen gemessenen Bewegungen und vornehmen Wesen und vornehmer Gesinnung. Ihre starke Seite war Englisch. Sie war Klassenlehrerin der 2. Klasse wie Frl. Emminghaus solche der 1. Klasse. Die Klassenlehrerin der 3. Klasse war Frl. Ganns. Diese war eine Lehrerstochter aus Winterburg bei Kreuznach2, hatte einen immer [S. 91] munteren Sinn, war etwas leichtlebiger als gut war, jedoch nicht im üblen Sinn und hat sich später verheiratet mit einem Bankbeamten Hecker aus Haiger3, wo sie früher ein privates Mädchenschulchen gehabt hatte. Sie wohnt jetzt in Düsseldorf. Zwischen diesen 5 Personen des Kollegiums herrschte vom 1. bis zum letzten Tag die schönste Eintracht, und ich zähle die Zeit meiner Arbeit an dieser Schule zu den schönsten meines Lebens.


  1. Vgl. Emil Becker, Die Dillenburger Mädchenschule im 16.-19. Jh. In: Heimatblätter (Dillenburg), 24, 1956.
  2. Winterburg, Verbandsgemeinde Bad Sobernheim, Landkreis Bad Kreuznach
  3. Haiger. Lahn-Dill-Kreis.

Recommended Citation: „Otto Merkel, Geschichte der Familie Merkel 1912-1919, Abschnitt 3: Lehrtätigkeit an der Mädchenschule, 1912–1914“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/5-3> (aufgerufen am 20.04.2024)