Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Otto Merkel, Geschichte der Familie Merkel 1912-1919

Abschnitt 4: Ausflüge und Wanderungen mit den Schülerinnen der Mädchenschule, 1912–1914

[Bd. 2, S. 91-92] Die Schule zählte etwa 100 Schülerinnen, die sich auf 6 Klassen verteilten, die den Klassen VII bis II eines Lyceums entsprachen. Auch unterrichteten wir nach dem Plan des Lyceums. Wir erstrebten sie Schule 7 klassig auszubauen und die Berechtigung zur Ausstellung des Abschlusszeugnisses zu bekommen. Es kam auch eine Kommission des Provinzial-Schulkollegiums zu Cassel1, Prov. Schulrat Konzow und sah sich die Sache an; da jedoch keine einzige akademische Lehrkraft an der Schule wirkte, zerschlugen sich die Verhandlungen. Doch gelang es wenigstens in der Person des Lycealdirektors Dr. Horn von der Humboldtschule zu Frankfurt2 einen technischen Beirat zu gewinnen, der alle Ostern nach Dillenburg kam und ein vollgültiges Abschlusszeugnis ausstellen konnte für die Aufnahme in Kl. I eines preußischen Lyceums. Das Schülermaterial war durchweg ein gutes und der Geist war ausgezeichnet. Es war bei den kleinen Klassen eine Lust zu arbeiten. Viele Botanik- und Erdkundestunden hielt ich im Freien ab. Auch besichtigte ich mit den einzelnen Klassen häufig gewerbliche und industrielle Anlagen, wie z.B. die Bierbrauereien von Kahm3 und von Hambach4, die Eisengießerei auf der Adolfshütte5, die Gasfabrik6 u. dgl. Manche Wanderung habe ich mit den Mädchen unternommen. Die gelungenste war eine 2 Tage Tour ins Edertal. An derselben nahmen etwa 12-15 Mädchen der 1. Klasse teil. Außer mir ging noch Frl. Ganns mir. Wir fuhren mit der Bahn nach Strasseberbach7 und gingen von dort zu Fuß zum Lahnhof8, wo wir die Lahnquelle besichtigten und unseren Frühstückskaffee kochten. Dann ging es durch das Ilsetal am heiligen Born vorbei bergab. Vor Feudingen9 kochten wir unser Mittagessen und ruhten ein Stündchen. Von Feudingen aus fuhren wir über Raumland10 nach Hatzfeld11 ins Edertal. Dort wurde im Saal des Gastwirts Rind12 eine Strohschütte gelegt, auf welcher die müden Wanderinnen, nachdem sie in der Eder ein Halbbad genommen und ihr selbstgekochtes Nachtmahl zu sich genommen hatten, einen gesunden Schlaf taten. Am anderen Morgen wanderten wir nach Friedental, wo wir die Papierfabrik von Schmidt14 besichtigten. Über Holzhausen15 ging dann der Weg nach dem Reddighäuser Hammerwerk16, wo wir die Fabrikation von schmiedeeisernen Pflugscharen zuschauten. Darauf durchschritten wir den Wald bis Holzhausen und kamen über den Laisaer Berg nach Battenberg, wo wir am Eingang des Städtchens unser Mittagessen kochten. Dabei wurden wir von einem Gewitter überrascht, sodaß wir in einem Hause Unterschlupf suchen mussten.

[S. 92] Um so frischer und klarer war nachher der Weg nach Münchhausen16, von wo wir mit der Bahn nach Marburg fuhren und uns die Elisabethenkirche mit dem Grab der heiligen Elisabeth ansahen, um dann die Heimfahrt mit der Bahn nach Niederwalgern-Herborn17 anzutreten. Nach der Heimkehr arbeiteten die Mädchen kapitelweise einen Bericht über die Reise aus, der ein ganzes dickes Heft füllte, das leider verloren gegangen ist. Auch eintägige Wanderungen unternahm ich viele, z.B. nach der Burgruine Greifenstein18, nach den Beilsteiner Basaltbrüchen19, nach der Lahn Dillquelle20, nach der Kalteiche21, nach dem Wilhelmstein22 und Tringenstein23 (?). Alle die Wanderungen wurden für die betr. Klasse zu Erlebnissen und wurden im Unterricht verwertet.


  1. Provinzial-Schulkollegium der Provinz Hessen-Nassau.
  2. Bisher nicht ermittelt.
  3. Die Brauewrei Kahm lag in Dillenburg am unteren Ende der Hohl in der Nähe des Bahnübergangs.
  4. Bisher nicht ermittelt.
  5. Adolfshütte, große Gießerei in Niederscheld, heute Stadt Dillenburg.
  6. Das städtische Gaswerk in Dillenburg.
  7. Strassebersbach, heute Teil der Gemeinde Dietzhölztal, Lahn-Dill-Kreis
  8. Forsthaus Lahnhof, heute Netphen-Lahnhof, Nordrhein-Westfalen
  9. Feudingen, heute Stadtteil von Bad Laasphe, Nordrhein-Westfalen.
  10. Raumland, heute Stadtteil von Bad Berleburg, Nordrhein-Westfalen.
  11. Hatzfeld, Kreis Waldeck-Frankenberg.
  12. Gasthof von Chr. Rind, Hatzfeld
  13. Papierfabrik Schmidt, am westlichen Stadtrand von Hatzfeld an der L 553.
  14. Holzhausen, Stadtteil von Hatzfeld.
  15. Reddighäuser Hammer, Hammer an der Eder südlich Reddighausen, Stadt Hatzfeld.
  16. Münchhausen, Kreis Marburg-Biedenkopf.
  17. Die sog. Salzbödebahn Niederwalgern-Herborn.
  18. Burg Greifenstein, Gemeinde Greifenstein, Lahn-Dill-Kreis.
  19. Basaltbrüche bei Beilstein, Gemeinde Greifenstein, Lahn-Dill-Kreis.
  20. Dillquelle, bei Haiger-Offdilln, Lahn-Dill-Kreis.
  21. Kalteiche, Waldgebiet wenig nördlich der hessischen Landesgrenze bei Wilgersdorf, Nordrhein-Westfalen.
  22. Wilhelmstein, Naturdenkmal bei Wallenfeld, Lahn-Dill-Kreis.
  23. Tringenstein, Ort und Burg, Gemeinde Siegbach, Lahn-Dill-Kreis.

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