Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Adolf Otto, Kriegstagebuch des Kurhessischen Jägerbataillons Nr. 11 aus Marburg, 1914-1918

Abschnitt 3: Beginn des Vormarschs durch Belgien

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Am Abend des 9. August traf ein Befehl ein, der das Bahnschutzidyll des Bataillons beendete und den Vormarsch durch Belgien einleitete. Das 1. Bataillon Inf.-Regt. 95 übernahm die bisherige Aufgabe. Die durch deutsche Eisenbahntruppen inzwischen wieder hergestellte Eisenbahn sollte die Jäger nach Schimpach bringen, aber erst gegen 3 Uhr nachts war genügend rollendes Material beisammen, um Stab, 1., 4. und M.G.K. zu verladen. Da fast nur offene Waggons zur Verfügung standen, wurde die nächtliche tunnelreiche Fahrt über Gouvy – Kautenbach und Wiltz nach Luxemburg hinein eisig kalt und die - allerdings erfolglose – Beschießung des ersten französischen Fliegers während des Aufenthalts in Wiltz bot willkommene Gelegenheit, den erstarrten Gliedern Bewegung zu verschaffen. Gegen 11 Uhr vormittags traf der erste Transport am 10. August in Schimpach ein und marschierte sogleich nach Wardin weiter, um Anschluß an die Gardekavalleriedivision zu suchen. Der Marsch mit vollem Gepäck in drückender Schwüle wurde der Truppe außerordentlich beschwerlich und mancher Jäger blieb als vorübergehend marschunfähig am Wege. Umso schöner lag es sich dann in einem Wäldchen westlich Wardin, wo der Rest des Bataillons erwartet werden sollte. Auch an Verpflegung fehlte es nicht, denn Eier und über 100 Hühner gab der Ort her – jetzt nicht mehr gegen bar, sondern auf Requisitionsschein. Da der restliche Teil des Bataillons bis zum Eintritt der Dunkelheit nicht eintraf, wurden um 8 Uhr abends Alarmquartiere in kümmerlichen Bauernhäusern Wardins bezogen. Erst gegen 1 Uhr nachts fand sich auch die 2. und 3. Kompagnie dort ein.

Am 11. August gegen 8 Uhr morgens setzte das Bataillon den Vormarsch fort, zunächst auf langer, gerade Straße bis Bastogne. Die ersten ernsten Zeichen des Kampfes: Ein totes Pferd, ein brennendes haus. In glühendem Sonnenschein geht’s weiter, endlos dehnt sich die Chaussee. Die Kavallerie, die in großen Verbänden vorbeireitet, hat’s leichter. Immer drückender wuchtet Gepäck und Munition. Da entschließt sich der Kommandeur, die Beförderung des Gepäcks durch Vorspannwagen anzuordnen. Mit Pferden und Fahrern werden sie durch Leutnant d. R. Berger beigetrieben. Auch 3600 Eier hat er im Vorbeireiten requiriert, die auf das Bataillon verteilt werden. Mit frischer Kraft geht’s weiter. Champlon ist das Marschziel, das gegen 6 Uhr nachmittags erreicht wird. Alarmquartiere. Feldwachaufstellung. In’s Abendessen hinein Feueralarm. Ein mit Offizieren und Mannschaften belegtes Haus steht in hellen Flammen. Die Postenkette suchen Zivilisten [S. 6] zu durchschleichen. Sie stehen nicht auf Anruf. Gewehrfeuer knattert auf. Einer der Belgier wird tödlich getroffen. Allmählich ebbt die Erregung ab. Die Ursache des Feuers ist nicht aufzuklären und die Geiseln – der Pfarrer und 2 Einwohner – kommen mit dem Schrecken davon. Die Zivilbäcker des Orts werden vom Verpflegungsoffizier während der Nacht zum Brotbacken für die Truppe herangeholt, denn Nachschub ist noch nicht vorhanden.

Im Morgengrauen des 12. August marschierte das Bataillon mit zugeteilter 3. Eskadron 1. Garde-Ulanen-Regiments über Halleux nach Genes und sicherte den Vormarsch der Division. Wieder brennt die Sonne unbarmherzig. Um 10 Uhr vormittags ging's weiter nach Marche ins Alarmquartier. 2. und 4. Kompagnie wurden als Vorpostenkompagnien in die Sicherungsbereiche der Kavalleriebrigaden nach Schloß Wailler bezw. westlich Marche vorgezogen. Vieh und Brot wurden beigetrieben. Kartoffeln und Gemüse gab's nach Bedarf und Hafer lieferte zum erstenmal das Proviantamt.

Teile der Radfahrerkompagnie hatten zusammen mit Aufklärungsschwadronen der 1. und 2. Gardedragoner am 11. August bei Thuneville und am 12. August bei Emptinne erfolgreiche Gefechte gegen belgische Dragoner, in denen 2 Gefangene und 1 Pferd erbeutet wurden.

Der 13. August war für das Bataillon Ruhetag. Die zum Fahren des Gepäcks herangezogenen Wagen und Pferde wurden fest übernommen. Ihre bäuerlichen Besitzer, die von Tag zu Tag mehr vor der kommenden Schlacht zitterten, waren froh, mit heiler Haut und einem Paß versehen, den Heimmarsch antreten zu dürfen. Das noch ungewohnte und selbstverständlich zwecklose Schießen der Posten auf einen Flieger störte den Ruhetag und veranlaßte unnötigen Alarm des Bataillons.


Recommended Citation: „Adolf Otto, Kriegstagebuch des Kurhessischen Jägerbataillons Nr. 11 aus Marburg, 1914-1918, Abschnitt 3: Beginn des Vormarschs durch Belgien“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/10-3> (aufgerufen am 25.04.2024)