Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Adolf Otto, Kriegstagebuch des Kurhessischen Jägerbataillons Nr. 11 aus Marburg, 1914-1918

Abschnitt 7: Übergang der Einheit über die Maas

[10-] Dann kommt auch für das Bataillon der Augenblick des Eingreifens: Um 5 Uhr 30 nachmittags ergeht der Divisionsbefehl, daß das Jägerbataillon 11 als erste Truppe die Maas auf Pontons überschreiten soll. Gleichzeitig melden die am Maasufer stehenden Truppen, daß der jenseitige Hang noch stark besetzt ist. Das Gepäck und die Pferde werden zurückgelassen und nur mit Sturmgepäck ohne Mäntel geht es durch Leffe und Dinant auf das Maasufer zu. Die 3. Kompagnie wird zur Seitendeckung links herausgezogen und rückt entwickelt über den bewaldeten südlichen Berghang gegen den Fluß. 11 bewaffnete Zivilisten, die im Buschwerk versteckt liegen, werden aufgetrieben und büßen ihr verbrecherisches Eingreifen in den Kampf mit ihrem Leben. Auf dem Marsch durch die Stadt zeigt sich die düstere Seite des Krieges in mannigfacher Gestalt: Zerschossene und brennende Häuser, Leichen, Blutlachen. Dazu pfeifen durchdringend die Infanteriegeschosse vom jenseitigen Maasufer her durch die engen Straßen und alles übertönt als Grundton das Brüllen der Geschütze. Eng an die Häuser gedrängt, strebt das Bataillon dem Fluß zu. Der Brückentrain rasselt vorbei und dessen Führer gibt die Anweisung für das Uebersetzen in Pontons – denn die Brücke ist durch den Feind gesprengt. Je 18 Mann müssen im Marsch-Marsch über einen freien Platz, dann die steile Ufermauer herabrutschen und in den Ponton springen. Noch im Absetzen des ersten, kommen die nächsten 18. Es geht wie der Wind. Leutnant v. Seebach im ersten Boot, ihm nach die 4. Kompagnie im 4. Boot der Bataillonsstab und dann die 3., 1., 2. Kompagnie. Von 6 Uhr 45 bis 7 Uhr 20 abends dauert der Uebergang, der durch feindliches Feuer nicht gestört wird. Der Verlust des Bataillons beschränkt sich auf einen einzigen leicht Verwundeten. Jauchzend klingt das Hurra der Jäger durch das Tal. Die waldige, parkähnliche Uferhöhe wird erstiegen, wobei die 3. Kompagnie 1 Offizier, 3 Unteroffiziere und 40 französische Soldaten gefangen nimmt, die einen stark demoralisierten Eindruck machen. Endlich ist die Höhe erreicht. Auf einige fliehende französische Soldaten wird Verfolgungsfeuer abgegeben. Vom Feind ist weiter nichts zu bemerken. Nun hat man auch auf dem jenseitigen Ufer erkannt, daß der Maasabschnitt bezwungen ist. Donnernd hallt das „Hurra" der Sachsen herüber und „Deutschland, Deutschland über alles" spielen die Regimentsmusiken. Die rechte Flanke der französischen Armee Laurezac, deren Aufgabe die Verteidigung der Maaslinie sein sollte, war eingedrückt.

Auf einem Stoppelfeld übernachtet das wieder gesammelte Bataillon – freilich ohne Mäntel, Decken und Feldküchen. Zum Ersah schafft der Verpflegungsoffizier aus einem völlig zerschossenen Schlößchen Wein herbei, sodaß der Jäger wenigstens den Magen erwärmen kann. Im Laufe der Nacht ist aber die Pontonbrücke fertig gestellt worden und am 24. August morgens brachte Oberleutnant v. Scheffer die Gefechtsbagage und die Gepäckfahrzeuge zum Bataillon vor, während die große Bagage zunächst noch in Leffe aus dem östlichen Maasufer verbleiben mußte. Bis zum Nachmittag rastete das Bataillon auf seinem Biwaksplatz im Anblick der brennenden und rauchenden Ortschaften im Maastal. Gegen 4 Uhr nachmittags gliederte es sich befehlsgemäß in die Marschkolonne des 12. Reserve-Korps ein und marschierte über Haut le Wastia– Warnant nach Stave. In Haut le Wastia wurde der Korpskommandeur – angeblich durch Zivilisten – beschossen. Das Bataillon entwickelte sich, jedoch kam es zu keinem Gefecht. In Warnant stieß die Radfahr-Kompagnie wieder zum Bataillon. Ewig lang dünkte der Marsch durch die endlose Anzahl belgischer Orte und erst gegen 3 Uhr nachts wurde bei Stave auf einem Felde gerastet. Etwas Verpflegung, aber kein Brot ließ sich in Stave beitreiben. Schon nach 3stündiger Rast ging es weiter über Florennes nach Philippeville. Glühend heiß wurde der Tag und die zweistündige Mittagsrast war wohlverdient. Der Weitermarsch über Neuville nach Mariembourg war anstrengend durch Hitze, Staub und ständige Marschstockungen. Die Straße zeigte das Bild des belgisch-französischen Rückzuges: Tornister, Hosen, Mäntel, Waffen und anderes Heeresgut lagen umher, Gefangene kamen von vorne – aber auch deutsche Verwundete. Am Nachmittag kam es in Mariembourg noch zu einem Gefecht mit schwacher feindlicher Nachhut. Das Bataillon wurde bei Tromcourt entwickelt und ging bis an den Bahndamm Mariembourg–Chimay vor, fand aber den Feind nicht mehr. Dagegen kam die Radfahr-Kompagnie, die mit 1 Eskadron Husaren gegen den Ort vorgestoßen war, ins Gefecht. Sie griff gegen 1 Uhr mittags mit 2 Zügen und 40 Karabinerschützen der Eskadron den schwachen, vor dem Ort gut gedeckt liegenden Feind an. Beim Eingreifen der eigenen Artillerie und Infanterie wurde sie auf die Artillerie zurückgenommen. Ihre Verluste betrugen: 1 Jäger tot; 1 Oberjäger 1 Jäger verwundet. Die Radfahr-Kompagnie schloß sich dem gegen 7 Uhr übends in Mariembourg sammelnden Bataillon an, das noch in der Dunkelheit bis Frasnes vorstieß. Der Ort lag völlig verlassen und machte einen beinah unheimlichen Eindruck: Alle Türen und Fenster fest verschlossen – anscheinend kein Mensch in den Häusern. Aber der erwartete Ueberfall blieb aus. Die Gewehrkolben klopften an die Türen Und die verschüchterten Bewohner kamen nach und nach zum Vorschein. Der Dorfrand wurde befestigt und besetzt, Patrouillen klärten das Vorgelände auf und todmüde bezog das Bataillon Ortsbiwak.


Recommended Citation: „Adolf Otto, Kriegstagebuch des Kurhessischen Jägerbataillons Nr. 11 aus Marburg, 1914-1918, Abschnitt 7: Übergang der Einheit über die Maas“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/10-7> (aufgerufen am 26.04.2024)