Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Adolf Otto, Kriegstagebuch des Kurhessischen Jägerbataillons Nr. 11 aus Marburg, 1914-1918

Abschnitt 1: Mobilmachung und Aufmarsch des Jägerbataillons

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Mobilmachung, Aufmarsch und Aufklärungsgefechte

Die ungeheure Spannung, die in den Julitagen 1914 Deutschland in Atem hielt und durch die Regierungserklärung der drohenden Kriegsgefahr am 31. Juli ihren Höhepunkt erreicht hatte, löste sich am 1. August durch den Mobilmachungsbefehl. Deutschland forderte seine waffenfähigen Männer zur Landesverteidigung gegen Feinde, deren Zahl noch nicht feststand, sich aber ständig mehrte. Begeisterung und Opferwilligkeit des gesamten Volkes flammte hoch auf und überflutete alle persönlichen Sorgen und Trennungsschmerzen wie die Bedenken über die zahlenmäßige Überlegenheit der Gegner und das Zögern des italienischen Bundesgenossen1.

Marburg lag anscheinend noch im tiefsten Sommerfrieden, als die Reservisten zusammenströmten, um das aktive 11. Jägerbataillon zur Kriegsstärke aufzufüllen, sowie ein 11. Reserve-Jägerbataillon und eine Ersatzabteilung zu bilden. Der bis in alle Einzelheiten durchdachte Apparat der Mobilmachung begann ohne jede ernstliche Reibung zu arbeiten. Am 2. August, dem ersten Mobilmachungstag, wurden die blanken Waffen geschliffen und die Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke ausgegeben. Am Abend fand eine Abendmahlsfeier für das Bataillon statt. Der 3. August brachte die Mobilmachungspferde. Die Feldfahrzeuge wurden beladen, die Geschirre verpaßt, eine Fahrprobe abgehalten. Gleichzeitig wurden die planmäßig eintreffenden Reservisten untersucht, zugeteilt und eingekleidet. Munition, Gewehre, Verbandspäckchen wurden ausgegeben, Kriegsranglisten und Kriegsstammrollen aufgestellt, die Garnison an die Ersatzabteilung übergeben und all die übrigen zahlreichen Arbeiten erledigt, die zur Aufstellung der Kriegsformation gehörten. Endlich am 4. August 4 Uhr nachmittags stand das Kurhessische Jägerbataillon Nr. 11 feldmarschmäßig auf dem Kämpfrasen zum Schlußappell. Der Bataillonsstab bestand aus dem Kommandeur Graf v. Soden, dem Adjutanten Oberleutnant v. Apell, dem Verpflegungsoffizier Leutnant d. R. Berger, Stabsarzt Dr. Kirchheim, Assistenzarzt d. R. Dr. Eppenstein und dem Unterzahlmeister Eisel. Führer der Kompagnien waren die Hauptleute v. Harnier, Frhr. v. Grote, v. Ascheberg, Claaßen, v. Graeffendorff und v. Wiese und Kaiserswaldau. Die Ausrückstärke betrug: 33 Offiziere, 1275 Mann, 127 Pferde, 6 Maschinengewehre. Um 9 Uhr abends marschierte das Bataillon zum Bahnhof, Marburg gab ihm jubelnd das Geleit.

In zwei Zügen erfolgte der Abtransport, dessen Ziel zunächst geheim blieb. Der heiß heraufziehende 5. August brachte Gewißheit, daß die Fahrt zum westlichen Kriegsschauplatz ging. Über Lollar2 – [S. 4] Wetzlar – Niederlahnstein3 – Gerolstein4 rollten die langen Züge nach einer Mittagspause in Wengerohr5 bis St. Vith6 nahe der belgischen Grenze. Mit Staunen hörte man hier, daß mit Belgien Kriegszustand bestehe und Spa7, sowie Stavelot8 durch die deutsche 43. Infanteriebrigade9 und das Landsturmbataillon Montjoie10 besetzt sei.


  1. Italien, das vor 1914 einen Dreibund mit dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn gebildet hatte, trat im August 1914 nicht an der Seite der Mittelmächte in den Krieg ein. Am 23. Mai 1915 erklärte es Österreich-Ungarn seinerseits den Krieg.
  2. Lollar, Kreis Gießen.
  3. Heute Teil der Stadt Lahnstein, Rheinland-Pfalz.
  4. Gerolstein, Kreis Vulkaneifel, Rheinland-Pfalz, heute etwa 25 km östlich der belgischen Grenze.
  5. Wengerohr, Bahnstation östlich Wittlich, Kreis Bernkastel-Wittlich, Rheinland-Pfalz.
  6. Sankt Vith, Kleinstadt in Ostbelgien, bis 1919 zum Deutschen Reich gehörend.
  7. Spa, Heilbad im Osten Belgiens.
  8. Stavelot, Stadt in Ostbelgien, 1914 in der Nähe der deutschen Grenze.
  9. Zu der in Kassel stationierten 43. Infanterie-Brigade gehörten vor allem Einheiten in Kassel und Arolsen.
  10. Heute Monschau, südlich Aachen, Nordrhein-Westfalen.

Recommended Citation: „Adolf Otto, Kriegstagebuch des Kurhessischen Jägerbataillons Nr. 11 aus Marburg, 1914-1918, Abschnitt 1: Mobilmachung und Aufmarsch des Jägerbataillons“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/10-1> (aufgerufen am 26.04.2024)