Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Adolf Otto, Kriegstagebuch des Kurhessischen Jägerbataillons Nr. 11 aus Marburg, 1914-1918

Abschnitt 9: Vormarsch bis Rethel an der Aisne

[12-14] Um 7 Uhr am 28. August geht's im Gros nach Logny–Bogny, wo zur großen Freude aller schon um 1 Uhr Halt gemacht wird. Recht behaglich richtete man sich ein, die große Bagage wurde herangezogen, vergnügt badeten die Jäger im Bach – da gibt's um 4 Uhr 35 nachmittags Alarm und der Vormarsch wird über Marlemont auf Signy l'Abbaye fortgesetzt. In der Marschkolonne des Armeekorps eingepfercht, wird unter häufigen Stockungen endlos weiter marschiert. Es wird Abend, die Nacht kommt herauf – von Biwak oder gar Quartier ist keine Rede. Weiter, immer weiter geht's nach Süden, um dem weichenden Feind an der Klinge zu bleiben. Gegen Mitternacht endlich Halt. Befehl für die Unterkunft? Nein – nur Rast. Nach 2 Stunden heißt's wieder „Auf" – „Gewehr in die Hand" und trotz Müdigkeit geht's weiter. Es heißt, in Novion-Porcien liege ein Bataillon des Infanterie-Regiments 1821 in schwerem Nachtgefecht. Das Marschtempo wird lebhafter. Bei Tagesanbruch ist Novion-Porcien2 erreicht, das von der deutschen Artillerie beschossen wird und an mehreren Stellen schon lichterloh brennt. Die französische Artillerie sucht die deutschen Batterien und streut mit Schrapnells3 ist vom Feinde besetzt und soll genommen werden. Während die 3. Kompagnie zum Schutz der rechten Flanke Provizy kampflos besetzt und von einer Höhe aus den Angriff flankierend unterstützt, gehen 1. und 2. Kompagnie gegen Corny la Bille vor. Der Feind setzt sich kräftig zur Wehr. Besonders der Zug v. Küster der 1. Kompagnie leidet schwer unter flankierendem Feuer. Auf 500 Meter wird das Feuergefecht ausgenommen, in dem gegen Mittag auch deutsche Feldartillerie ihre ernste Stimme erklingen läßt. Da gibt der Franzose seinen Widerstand auf und räumt im Verfolgungsfeuer der 3. Kompagnie den Ort. Die Jäger, die 2 Tote und 8 Verwundete verloren haben, besetzen ihn. Im Laufe des Nachmittags rückte das Bataillon in das zur Unterkunft zugewiesene Novion-Porcien. Aber bevor es sich von den Anstrengungen des Nachtmarsches und des glühend heißen Tages erholen konnte, mußten erst einmal die brennenden Häuser gelöscht und die auf der Straße liegenden Leichen der im Nachtgefecht Gefallenen beerdigt werden. Die Einwohner waren fast alle geflohen. Ihre Obstgärten erquickten die ermatteten Jäger mit prachtvollen Pflaumen. Endlich aber siegte die Müdigkeit über alle anderen Wünsche. Die Straßen wurden mit Barrikaden gesperrt und Außenwachen sicherten die Ruhe der übermüden Schläfer.

Am 30. August gehörte das Bataillon wieder zur Vorhut und trat um 6 Uhr 30 vormittags den Marsch auf das lockende Tagesziel Rethel an. Auf schnurgerader Straße näherte sich die Vorhut schnell der Stadt, als plötzlich Infanteriefeuer ausknatterte und sie zur Entwicklung zwang. Das Bataillon bog als Reserve nach rechts von der Straße ab und ging dann zur Umfassung des linken feindlichen Flügels westlich Rethel und zur überholenden Verfolgung vor. Eine französische Kürassierpatrouille wurde abgeschossen. Unbehelligt kam es bis an die Aisne, die mit ihren steilen Ufern und der starken Strömung ein Durchwaten etwas mühsam machte. Mancher, der sich schnell die Hose ausgezogen hatte und barfuß durch's Wasser ging, glitt in dem harten Kies des Flußbetts aus und sah noch obendrein sein unentbehrliches Beingehäuse im Wasser versinken. Endlich war das jenseitige Ufer bei Barrage erreicht. Als [S. 14] das Bataillon nun aber aus dem Flußeinschnitt auftauchte und westlich Rethel durchstoßen wollte, prasselte ihm Infanteriefeuer und vor allem gut gezieltes Schrapnellfeuer entgegen und bannte es auf den Platz, da die verteufelte, hinter einem tiefen Kanal stehende Batterie nicht zu fassen war. Erst gegen Abend gelang es, das vorliegende Acy Romance zu erreichen. Die Maschinengewehr-Kompagnie war bereits 10 Uhr vormittags mit der 2. Schwadron Husaren-Regiments 20 östlich Remicourt ins Gefecht getreten und hatte sich sodann an dem Angriff des Infanterie-Regiments 182 aus Rethel beteiligt. Zusammen mit 2 Batterien des 12. Feldartillerie-Regiments schlug sie einen Gegenangriff der Franzosen gegen Bertomont zurück und stieß, nachdem Rethel gegen 8 Uhr abends von den Sachsen gestürmt worden war, zugleich mit dem in Signy l'Abbaye zur Bagagebedeckung zurückgelassenen Zug Prinz Lippe der 4. Kompagnie in Acy Romance zum Bataillon. Der Tag hatte die Jäger 1 Toten und 9 Verwundete gekostet.


  1. Das 16. Königlich Sächsische Infanterie-Regiment Nr. 182.
  2. Novin-Porcien, framnzösischer Ort etwa 12 km nördlich Rethel (Aisne).
  3. auf die Anmarschwege, so daß die Gefechtsbagage schleunigst Deckung suchen muß. Das Bataillon rückt sofort ein, ohne Widerstand zu finden. Nur 2 Einwohner schießen auf die 3. Kompagnie und bezahlen ihr wahnwitziges Vorhaben mit dem Leben. Auf Nachtruhe darf man wohl verzichten, denn schon wieder wird gesammelt und angetreten. Corny la Bille0=Corny-Machéroménil, Ort südöstlich Novion Porcien.

Recommended Citation: „Adolf Otto, Kriegstagebuch des Kurhessischen Jägerbataillons Nr. 11 aus Marburg, 1914-1918, Abschnitt 9: Vormarsch bis Rethel an der Aisne“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/10-9> (aufgerufen am 26.04.2024)