Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915

Abschnitt 4: Predigt I / 4 zu Jesajas 53, 4-5 (Karfreitag)


Fürwahr er trug unsere Krankheit und lud auf sich unser Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsere Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen geschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. - Jesajas 53, 4—5.


Liebe Kameraden!

Daheim feiern sie heute Karfreitag1. Im Geist finden wir uns mit unseren Lieben aus dem Hügel Golgatha zusammen. Das war die Schädelstätte, der Richtplatz von Jerusalem, das Gefilde der Schrecken. Durch das, was an jenem Karfreitag dort geschah, ist jener Hügel zur heiligsten Stätte auf Erden geworden, von der ein Strom des Friedens ausgeht in alle Welt, wir bitten Gott, daß ein Teil davon heute auch zu uns komme.

„Für uns" —, dieses Wort bildet den Mittelpunkt unseres Textes; es bildet auch den Herzpunkt dessen, was dort auf Golgatha geschah. So wenig Jesus für sich selbst gelebt hat, so wenig ist er für sich selbst gestorben. Er starb nicht, um irgend eine Schuld dadurch zu büßen. Alle, die mit dem Gefangenen und Sterbenden zusammenkamen, Pilatus und Judas, der Schächer und der Hauptmann unter dem Kreuz, — alle sind von seiner Reinheit überzeugt. Ruf die Frage, die er einst an seine Gegner richtete: „welcher unter Euch kann mich einer Sünde zeihen", sind ihm auch seine erbittertsten Feinde bis heute die Antwort schuldig geblieben. — Jesus stirbt auch nicht nur als Märtyrer für seine Überzeugung, obwohl auch das schon etwas Großes wäre. Es wäre schon viel, wenn wir unter seinem Kreuz von ihm den Mut lernten, [S. 15] für unsere Überzeugung rückhaltlos einzutreten, sie auch gegen Spott und Hohn festzuhalten und in der Nachfolge dessen zu gehen, der für die Wahrheit sein Leben gelassen hat.

Aber die Bedeutung des Todes Jesu reicht viel weiter. Sein Sterben ist andern, ist der ganzen Menschheit zu gute gekommen. In diesem Tod liegt erlösende Kraft. Jesus ist den Opfertod, er ist für uns gestorben! Was das bedeutet, verstehen wir jetzt besser, als vor dem Krieg. Wir sind zu diesem Kampf ausgezogen für unser Vaterland, für eine gesicherte und ehrenvolle Zukunft unseres geliebten Volkes, für Heim und Herd, für alles was uns lieb und teuer ist. Damit Euere Fluren nicht wüste liegen müssen, Ihr Landwehrleute, damit Euere Dörfer nicht zerschossen werden, damit Euere Frauen und Kinder daheim in Frieden wohnen können, dafür tragt Ihr die Mühen und Lasten dieser langen Monate mit all dem Schmutz und der Nässe der Schützengräben. Jeder Blutstropfen, der dabei vergossen wird, ist Hoffnungssaat künftiger Ernte, wer hier draußen den Heldentod stirbt, dessen Name wird daheim in Erz und Stein eingegraben. In unseren Gotteshäusern hängen wir die Gedenk-Tafeln auf, und voll Ehrfurcht heißt es von denen, die dort verzeichnet werden: sie starben für uns. Und doch sind wir alle, die wir bereit sind, für die andern das Leben einzusetzen, arme Sünder, und für uns bleibt der Tod, auch der Heldentod, der Sünde Sold.

Bei Jesus war es anders, von Ihm gilt es im höchsten, unvergleichlichen Sinn: Er starb für uns. Aus seinem Tod ist einer ganzen verlorenen Welt neues Leben gekommen. Sterbend dort am Kreuz hat er uns den Weg zum Vaterherzen Gottes freigemacht, und als der Gekreuzigte gewinnt er heute noch seine reichste Beute. Denn das Kreuz Jesu Christi richtet und rettet. Es richtet die, welche mit aufrichtigem Sinn zu ihm aufblicken. Es zeigt uns, wessen die Menschheit an sich fähig ist. Jeder unter uns hat teil an der Gesinnung, die Jesum in den Tod trieb und ihm das [S. 16] Sterben so schwer machte. Jeder unter uns neigt von sich aus dem Gegenteil von dem zu, was wir in Jesu Sinn und Herz lebendig sehen. Wo er betet, würden wir Klagen und verzagen, oder murren und fluchen; wo er liebt, würden wir hassen. Und doch sagt uns das Gewissen: so, wie es bei Ihm war, so ist es recht. Keiner, der ehrlich ist, kann sich diesem Gericht entziehen. — Aber das Kreuz von Golgatha rettet auch. So viele Tausende haben durch die Jahrhunderte hindurch im gläubigen Ausblick zu dem gekreuzigten Heiland die unzerstörbare Gewißheit von der Liebe und Gnade ihres Gottes gefunden. Überwältigt von seiner Liebe wird unter dem Kreuz Jesu Christi, wie nirgendssonst, unsere Seele emporgezogen zu dem Gott, der durch ihn auch unsere Seelen suchen und selig machen will.

Wie lieb ist uns nun — um des Gekreuzigten willen — das Kreuz! Es gibt uns für vieles ganz neue Maßstäbe in die Hand, die Dinge zu messen. So viele Kreuzeswege müssen jetzt in unserem Volk gegangen werden, hier draußen von uns und daheim von unseren Lieben. So vieles muß dahingegeben werden, so viel Trauer kehrt ein in unzähligen Familien. Das Kreuz von Golgatha bürgt uns dafür, daß Gott grade im Leiden seine größten Werke vollbringt, und daß alles wahre Opfer Gewinn ist. Durch den ganzen unaussprechlichen Jammer dieses Krieges will Gott — das ist unsere unter dem Kreuz Christi gewonnene Überzeugung — unser deutsches Volk läutern, reinigen und neu bereiten für große, heilige Aufgaben.

Wie lieb ist uns nun das Kreuz! Einst ein Schandpfahl, nun ein Ehrenzeichen. Der liebste Schmuck des deutschen Mannes, den er gegen nichts anderes eintauschen mag, — das schlichte eiserne Kreuz. Die Hoffnung der Verwundeten, das, wonach die Verschmachtenden auf dem Schlachtfeld so sehnsüchtig ausschauen, — das rote Kreuz. Und weil nicht nur die müden, wunden Leiber nach Pflege und Erquickung verlangen, sondern auch die Seelen, darum [S. 17] begleitet der Dienst des Feldpfarres mit Wort und Sakrament unsere Heere durch Schlachten und Schützengräben, durch Märsche und Ruhezeiten; auch er steht unter dem Schutz des Kreuzes. Unsere Marine führt es in ihrer Flagge, unsere Flieger tragen es an ihren Flugzeugen, — unsere ganze ruhmreiche Streitmacht stellt sich unter das Zeichen des Kreuzes, um in ihm zu siegen. Und wenn wir die Gräber unserer Kameraden hier draußen schmücken, — es kommt uns gar nicht in den Sinn, etwas anderes darauf zu stellen, als das Kreuz, und wenn es nur ein paar im Flug übereinander geheftete Weiden-Ruten sind.

Jesu Todesstunde erinnert an die unsere. Was möchten wir uns dafür Lieberes wünschen, als daß dann der Gekreuzigte sich zu uns neigt und uns, wie einst jenem anderen Sterbenden, zusagt: heute noch sollst Du mit mir im Paradiese sein.

Amen.


  1. Karfreitag wurde 1915 am 2. April gefeiert.

Persons: Eisenberg, Christian
Keywords: Feldpredigten · Feldgeistliche · Feld-Divisionspfarrer · Evangelische Kirche · Heldentod
Recommended Citation: „Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915, Abschnitt 4: Predigt I / 4 zu Jesajas 53, 4-5 (Karfreitag)“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/76-4> (aufgerufen am 26.04.2024)