Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915

Abschnitt 9: Predigt I / 9 zum Hebräerbrief 12, 1 f.


Weil mir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasset uns ablegen die Sünde, so uns immer anklebt und träge macht, und lasset uns laufen durch Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist, und aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens. - Hebräerbrief 12, 1 f.


Liebe Kameraden!

In unserem Text steht ein Wort, das wir alle besonders gut gebrauchen können; das Wort von der Geduld. „Lasset uns laufen durch Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist." Mag der Apostel dabei ursprünglich an den inneren Kampf gedacht haben, den jeder Christ führen muß, solange er lebt, an den Kampf gegen die Sünde und Versuchung aller Art, — für uns steht der große Weltkampf im Vordergrund der Gedanken, den wir für unser Vaterland auszufechten haben. Auch das ist ein Kampf, der uns „verordnet" ist, verordnet — nach unserer Überzeugung — von dem allmächtigen Gott. Darin müssen wir aushalten in Geduld; mag es damit auch so viel länger dauern, als wir anfangs dachten; mag das Gleichmaß unserer Tage oft drückend genug auf uns liegen, und das Heimweh uns in mancher Stunde zu schaffen machen, was kann uns in dieser Geduld stärken?

Wir nennen das Beste zuerst: Der Aufblick zu Jesus, dem Anfänger und Vollender unseres Glaubens. Warum gehen so viele Männer an Jesus Christus vorüber, als gehe er sie nichts an, als sei er höchstens gut für Frauen und Kinder? Weil sie noch nie gemerkt haben, wie viel grade der Mann bei Ihm finden kann. Hier im Krieg sind manchem die Augen dafür aufgegangen.

[S. 35] Nicht nur in dem Sinn, daß so mancher sterbende Kamerad sich mit seiner letzten Not voll gläubigen Vertrauens in die Hände des gekreuzigten und auferstandenen Heilandes geborgen hat; sondern auch so, daß mancher Lebende es nun weiß: bei Jesus ist gut sein. Sind es nicht grade die soldatischen Tugenden der Treue, der Tapferkeit, der Hingabe und des Gehorsams, die wir bei Ihm am besten lernen können? Glänzt und leuchtet uns nicht aus dem reichen Innenleben Jesu heraus alles das entgegen, von dem wir uns nur wünschen können, daß es auch unsere Seelen füllt: sein starkes Gottvertrauen, seine Lauterkeit der Gesinnung, die überlegene Ruhe, die ihn jeder Lage gewachsen sein ließ? Wer zu Ihm aufblickt, wird sich immer an Ihm zurechtfinden können, so wie der Schiffer auf dem Meer an den über ihm leuchtenden Sternen. — Aber die Hauptsache bleibt, daß Jesus uns nicht nur Vorbild sein will, sondern Heiland und Erlöser, der uns die Sünde vergibt und damit den Weg frei macht zum Vaterherzen Gottes; der uns einen Herzensfrieden schenken kann, wie ihn die Welt weder zu geben noch zu nehmen vermag, und der uns dadurch fähig und willig macht, alles Schwere auf uns zu nehmen, das getragen werden muß. Laßt uns darum täglich aufsehen auf Jesum. Es gibt nichts, was uns mehr als das stärken könnte zum geduldigen Aushalten in dem Kampf, der uns verordnet ist.

Unser Text nennt ein zweites Stück, das uns dabei helfen kann: die Erinnerung an die Wolke von Zeugen, die uns umgibt und auf uns sieht, vielleicht schwebte dem Apostel bei diesem Wort das Bild der Olympischen Wettspiele vor: unten die weiten Kampfplätze, ringsum — nebeneinander, übereinander — die zehntausende der Zuschauer. Welch ein Ansporn war das für die Ringenden, zu wissen: so viele Augen ruhen auf uns! Da tat gewiß jeder sein Bestes. — Kameraden, auch auf uns ruhen die Augen vieler. Nicht weit von uns, drüben bei Mars la tour und Gravelotte, sind die Gräber aus 1870. Dort haben unsere Väter gestritten und gesiegt. [S. 36]

Man sagt, ihre Kämpfe seien so viel leichter gewesen, als die von 1914/15. Das mag sein. Aber sie haben das Ihre getan, und das Vaterland wird immer stolz bleiben dürfen auf die Helden jener großen Schlachten. Aus der Ewigkeit sehen sie auf uns, ihre Söhne herab. Laßt uns dafür sorgen, daß sie mit uns zufrieden sein können; mit uns, die wir nun wieder auf demselben Boden kämpfen müssen, wo jene einst gekämpft haben. — In der Ewigkeit suchen unsere Gedanken noch viele andere, die uns im Leben lieb waren: Vater, Mutter, Geschwister, Freunde —, sie sind uns vorangegangen, sie sehen auf uns von dort oben, wir wissen nicht, ob wir ihnen nicht selbst bald nachkommen. Wir möchten, daß wir uns nicht zu schämen brauchen vor ihnen mit unserem Tun. Darum laßt uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist. — Wir denken bei den Zeugen, die uns umgeben, an die Lebenden. Wir übertreiben nicht, wenn wir sagen: die ganze Welt sieht auf uns Deutsche. Die ganze Welt sieht mit wachsender Spannung zu, wie Deutschland diesen ihm aufgezwungenen Kampf gegen eine ungeheuere Übermacht durchficht; ob es ihm wirklich gelingen wird, mit allen seinen Feinden fertig zu werden. Sollte nicht jeder einzelne unter uns sein Bestes dazu tun, daß wir vor einer solchen „Wolke von Zeugen" mit Ehren bestehen können? — Vor allem sieht unser eignes Volk auf uns, seine Heere. Unerschütterlich, geradezu ergreifend ist das Vertrauen, mit dem man daheim sich sagt: Lieb Vaterland, magst ruhig sein, fest steht und treu die Wacht am Rhein, — ebenso die Wacht im Osten. Sollen wir dieses Vertrauen enttäuschen? So manches Elternpaar, so viel tapfere Frauen und Bräute haben ihren hinausziehenden Söhnen, Gatten und Verlobten das Wort mit auf den weg gegeben: „Nun geht in Gottes Namen und tut Euere Schuldigkeit". Ob uns ein Wiedersehen mit ihnen vergönnt sein wird, liegt in Gottes Hand. In unserer Hand aber liegt es, ob wir ihnen dann mit Ehren entgegen treten können, als Leute, die getan haben, was sie zu [S. 37] tun schuldig waren. Für uns falten sich täglich so viel Hände daheim, für uns sparen und arbeiten sie, an uns denken sie Tag und Nacht —, darum laßt uns nicht müde werden; — laßt uns unter dieser Wolke von Zeugen mit Geduld laufen in dem Kampf, der uns verordnet ist.

Noch auf ein drittes Stück müssen wir achten, wollen wir mit den Aufgaben, die uns der Kampf stellt, in Geduld zu Ende kommen: „lasset uns ablegen die Sünde, so uns anklebt und träge macht". Wenn zum Sturm-Angriff angetreten wird, Kameraden, dann wird vorher das schwere, hemmende Gepäck abgelegt; das würde nur hindern. So gilts auch, innerlich wegzulegen, was am geduldigen Ausharren hindert. Dazu gehören — neben manchem andern — die Sorgen; das Neue Testament rechnet sie mit zu den Sünden, und der Heiland verbietet sie uns. Laßt uns von der großen Erlaubnis Gebrauch machen, alle unsere Sorgen auf den Herrn werfen zu dürfen. — An eins laßt mich Euch besonders erinnern, wenn von der Sünde, als von etwas, das untüchtig und träge macht, die Rede ist. In unseren Lazaretten liegen viele brave Kameraden mit ehrenvollen Wunden, im Kampf für das Vaterland erworben. Das sind Ehren-Male. Es liegen aber auch viele dort, die nicht dort zu liegen brauchten. Sie liegen an schlechten Krankheiten dort, die sie sich durch ihre Sünde zugezogen haben. Das sind Schandmale. Diese Kameraden sind durch ihre eigene Schuld untüchtig geworden zu dem großen, heiligen Kampf, den wir führen. Sie sind ausgeschaltet und werden voll Scham abseits stehen müssen, wenn das Vaterland die heimkehrenden Sieger ehrt. Laßt uns auf der Hut sein, Kameraden, vor der Sünde jeder Art, damit wir laufen können mit Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist.

Amen.


Persons: Eisenberg, Christian
Places: Gravelotte · Mars la tour
Keywords: Feldpredigten · Feldgeistliche · Feld-Divisionspfarrer · Evangelische Kirche · Deutsch-Französischer Krieg 1870-1871 · Wacht am Rhein · Lazarette · Geschlechtskrankheiten
Recommended Citation: „Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915, Abschnitt 9: Predigt I / 9 zum Hebräerbrief 12, 1 f.“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/76-9> (aufgerufen am 26.04.2024)