Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915

Abschnitt 7: Predigt I / 7 zu Math. 16, 26


Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Math. 16, 26.


Liebe Kameraden!

Die ganze, hohe, herrliche Welt, in welcher Jesus lebte, wird von dem gehörten kurzen Wort umschlossen; aber auch der ganze gewaltige Gegensatz zum Denken des natürlichen Menschen. Was gilt den meisten Menschen als groß? Was treibt sie um und hält sie in Atem? Das, was äußeren Wert hat; das, was glänzt und in die Augen fällt. Was hat das Geld für eine Macht! Wie verlockend und berauschend dünkt es, etwas zu gelten, Einfluß zu haben, Karriere zu machen! Und doch —: wenn der Wind darüber geht, dann ist das alles nicht mehr da; denn die Welt vergeht mit ihrer Lust, und in der Todesstunde sieht sich vieles anders an, als auf der Höhe des Lebens.

Jesu Denken wurzelte tiefer, in der Ewigkeit, bei dem lebendigen Gott und seiner unvergänglichen Welt, von daher nahm er seine Maßstäbe. Darum trat ihm das, was mit dieser äußeren Welt zusammenhing, so weit zurück gegenüber dem, was vor Gott gilt. Das irdische Wohl des Menschen war ihm nicht gleichgültig. Aber unendlich viel mehr galt ihm die unsterbliche Seele. Dafür hat er der Welt die Augen öffnen wollen. Menschenseelen zu pflegen und zu retten, — dafür hat er gearbeitet und dafür ist er gern gestorben — Wollen wir zu den Jüngern Jesu gehören — und als Christen wollen wir das alle — dann müssen wir auch in diesem Stück vom Meister lernen. Was hülfe es, wenn wir die ganze Welt gewönnen und nähmen doch Schaden an unserer Seele? Unser Hab und Gut, — wir könnens nicht mitnehmen, wenn wir durch das letzte dunkele Tal hindurch müssen. Unsere [S. 27] Stellung, die wir hatten, das Ansehen, dessen wir uns erfreuten, — so wertvoll und wichtig uns das hier im Leben war, unser Gott wird sich in seinem letzten Urteil über uns dadurch nicht beeinflussen lassen. Aber was wir an ewigen Werten, an Glaube, Liebe und Hoffnung, an Reinheit und Treue, an Selbstlosigkeit und echter Demut erworben haben, — das wird mit uns gehen, wenn sich Leib und Seele von einander scheiden müssen.

Diese Klarheit läßt uns in unsere Gedanken über den Krieg hineinstellen. Welches Ziel wird bei diesem großen Völker-Ringen verfolgt? Unsere Gegner sagen: Die Demütigung, am liebsten die Zerstückelung Deutschlands. Ihr kennt ja die Landkarten, Kameraden, die schon im Anfang des Krieges im Umlauf waren und zeigen, was nach der Meinung unserer Feinde vom Deutschen Reich übrig bleiben soll. — Was soll bei diesem Krieg herauskommen? Noch ist die öffentliche Aussprache über die große Frage der Friedensbedingungen in unserer Presse nicht freigegeben. Und es ist gut so; denn wir sind noch nicht so weit, daß mit Fug und Recht darüber verhandelt werden könnte. Aber eins darf doch schon jetzt gesagt werden. Freventlich hat man uns in diesen Krieg hineingetrieben. So viele hoffnungsvolle Leben werden dadurch vernichtet; Riesensummen an Volksvermögen gehen verloren; noch ist der Schaden, der in Ostpreußen, im Elsaß und in unseren Kolonien angerichtet ist, nicht in seinem ganzen Umfang zu übersehen. Soll das alles umsonst vom deutschen Volk, das nie etwas anderes, als den Frieden, wollte, dahingegeben sein? Wenn, wie wir zuversichtlich zu Gott hoffen, ein voller Sieg sich auf unsere Seite neigt, dann werden es sich die Feinde gefallen lassen müssen, daß wir ihnen den Frieden diktieren. Nicht den eines übermütigen Siegers; aber einen Frieden, der ihnen die Lust nimmt, wieder über uns herzufallen. Ein größeres, mächtigeres Deutschland — das dürfen wir heute schon aussprechen — muß die Frucht dieses furchtbarsten aller Kriege sein.

[S. 28] Das ist ein hohes Ziel; aber es ist noch nicht das höchste, was hülfe es Dir — so klingt über diesen Zukunftgedanken des Heilandes Wort —, was hülfe es Dir, Du deutsches Volk, wenn Du die ganze Welt gewännest und nähmest doch Schaden an Deiner Seele? Dieser Krieg soll, so hoffen wir, eine Läuterung sein für unser Volk. Schlechte Säfte sollen durch ihn aus unserem Volkskörper ausgeschieden werden, neue Kräfte sollen einziehen. Reifer, innerlicher, tüchtiger sollen wir werden durch diese schwere Zeit, vom ersten Tag der Mobilmachung an haben wir mit Dank gegen Gott manchen hoffnungsvollen Keim beginnenden neuen Lebens in der Seele unseres Volkes wahrnehmen dürfen, wie herrlich war die Einigkeit, welche allen Parteihader vergessen ließ; wie tief und feierlich der Ernst, mit dem Millionen wieder aufschauen lernten zu dem lebendigen Gott; wie groß die Opferwilligkeit, die durch alle Stände hindurchging. O daß diese Keime zur Reife kommen dürften! Wir hoffen nicht nur aus einen ehrenvollen Frieden, sondern auch auf ein innerliches Emporsteigen unseres geliebten Volkes.

Man berichtet uns von der Heimat her, daß vieles dort nicht mehr so gut und schön sei, wie in jenen unvergeßlichen August-Tagen des vorigen Jahres. Der Hader der Parteien fange schon wieder an; der Leichtsinn und die Genußsucht sei in manchen Kreisen wieder so groß, wie vor dem Krieg, und die religiöse Hochflut sei stark im Abnehmen. Was sagen wir dazu, Kameraden? Wir können von hier aus wenig an dem ändern, was daheim geschieht; wir haben hier draußen Kopf, Herz und Hände voll genug mit unseren eigenen Pflichten. Aber an eins wollen wir uns erinnern. Millionen von Männern sind jetzt unserem Volksleben entzogen; alle, die auf den Schlachtfeldern stehen und die Schützengräben halten und sonst ihre Plätze ausfüllen auf unseren weiten Kriegsschauplätzen, viele von ihnen kehren nicht heim; aber doch — so Gott will — die meisten. Muß es nicht auf unser Volksleben [S. 29] vom größten Einfluß sein, welchen Geist sie mit heimbringen werden? Zu ihnen gehören auch wir, Kameraden! Jetzt bilden wir den eisernen Wall gegen die äußeren Feinde unseres Volkes. Wie viel würde es bedeuten, wenn wir später einen festen Wall bilden wollten gegen alle die inneren Feinde, gegen Leichtsinn und Sünde, die unser Volk verderben wollen! Wir können das doch nicht wieder vergessen, was wir hier draußen in dem blutigen Ernst der langen Kriegsmonate innerlich gelernt und gewonnen haben. Und das kann doch nicht ohne Segen bleiben für unser ganzes Volk!

Welche Verantwortung liegt darum auf uns! Wie viel kommt auch auf Dich an, Kamerad! was hülfe es Dir, wenn Du gesund und wohlbehalten, vielleicht mit dem eisernen Kreuz geschmückt, heimkehrtest und hättest Schaden genommen an Deiner Seele? Wie viel aber wirst du den Deinen und darüber hinaus Deinem Volk sein können, wenn Du beim Rückblick auf Deine Kriegszeit einst sagen kannst: „Es war eine schwere Zeit; aber ich möchte sie nicht missen; denn ich bin innerlich durch sie weiter gekommen". - Gottes Absicht ist das bei uns allen.

Amen.


Persons: Eisenberg, Christian
Keywords: Feldpredigten · Feldgeistliche · Feld-Divisionspfarrer · Evangelische Kirche · Zensur · Parteienstreit
Recommended Citation: „Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915, Abschnitt 7: Predigt I / 7 zu Math. 16, 26“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/76-7> (aufgerufen am 23.04.2024)