Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915

Abschnitt 8: Predigt I / 8 zu Epheser 3, 13 ff.


Darum bitte ich, daß Ihr nicht müde werdet um meiner Trübsale willen, die ich für Euch leide, welche Euch eine Ehre sind. Derhalben beuge ich meine Kniee vor dem Vater unseres Herrn Jesu Christi, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, daß er Euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist am inwendigen Menschen. Epheser 3, 13 ff.


Ihr lieben Kameraden!

Die gehörten Worte stammen aus einem Brief. Der Apostel Paulus hat ihn geschrieben, in schwerer Zeit. Aus ihm, wie aus seinen andern Briefen, die uns im Neuen Testament enthalten sind, haben viele, viele Menschen unendlichen Segen geschöpft. — Wir denken an unsere Briefe. Nicht, als ob wir sie mit denen des Apostels vergleichen wollten. Unsere Blätter, die zwischen uns und der Heimat hin und her fliegen, sind so viel bescheidener, als wir geringer sind, denn der große Apostel Jesu Christi. Aber für uns sind unsere Briefe wichtig genug, für uns hier im Feld und für unsere Lieben daheim. Wir wissen aus der Erfahrung dieser langen Kriegsmonate, was es für uns bedeutet, uns wenigstens brieflich mit denen aussprechen zu dürfen, die uns die Liebsten sind, wie wird die Feldpost bei uns erwartet, und wie sehnsüchtig blicken die Unseren daheim in dieser Zeit des Getrenntseins nach dem Postboten aus! Was soll durch diesen Austausch von Grüßen erreicht werden? Nur flüchtige Freude? Nicht auch bleibender Segen? Prüfen wir einmal, Kameraden, was uns dieses alte Briefstück an die Epheser heute zu sagen hat. [S. 31]

Paulus war, als er diesen Brief schrieb, im Gefängnis. Um seiner Predigt des Evangeliums willen hatte man ihn in Rom gefangen gesetzt. Das war schwer für den feurigen, tatkräftigen Mann; noch viel schwerer, als es für manchen gesunden Kameraden sein muß, als Kriegsgefangener vom weiteren Verlauf des Kampfes ausgeschlossen zu sein. Pauli Lebenswerk war in Gefahr. Wer sollte nun die Welt durcheilen mit der Botschaft von Christus, so wie er es getan hatte? Wer sollte die jungen Gemeinden stärken, wer neue gründen? Dazu lag seine persönliche Zukunft dunkel und drohend vor ihm. Ob er mit dem Leben davon kommen würde? Ob ihm der Freiheit goldener Schein noch einmal leuchten möchte? Man hätte es verstehen können, wenn der Mann müde und verzagt geworden wäre; und wenn er zur Feder griff, — wer hätte ihn schelten wollen, wenn ihr Klagen entströmt wären? wir hören statt dessen etwas anderes. Daß nur die Seinen daheim nicht verzagen, das ist seine Sorge; daß sie nicht müde werden, darum bittet und fleht er.

Wollen wir nicht davon lernen, Kameraden? Das „müde werden" — wer wüßte nichts davon nach so vielen, langen Kriegsmonaten? Groß und echt war die Begeisterung, mit welcher unser Volk in den Krieg ging. Nun ist manches Anzeichen beginnender Müdigkeit wahrzunehmen. Nicht in dem Sinn, wie die Feinde es von uns erhoffen. Nicht so, als ob unser Volk aus lauter Kriegsmüdigkeit nach irgend einem faulen Frieden verlangte. Aber die Verlust-Listen sind gar lang geworden, die Kriegslasten werden drückender, die Sehnsucht wird größer, das Ganze dauert so viel länger, als man gedacht, und niemand kann sagen, wann das Ende kommt. Da klopft die Müdigkeit bei vielen an und die Verzagtheit, daheim und hier draußen bei uns. Willst Du Dich so zum Schreiben hinsetzen, Kamerad? Willst Du, wenn es wirklich einmal so in Dir aussieht, das Deinem Briefpapier anvertrauen, das du im Schützengraben oder beim dürftigen Licht Deines Unterstandes [S. 32] zum Schreiben an Deine Lieben vor Dich ausbreitest? Meinst Du, daß Du mit solchen Briefen daheim Freude weckst und dem Vaterland dienst? Wie dankbar sind wir für gute, ermutigende und tröstende Worte von daheim. Glaubt mir: es ist umgekehrt auch so. Es hat ja — wie der Volksmund sagt — jeder sein Päckchen zu tragen; die daheim und wir hier draußen. Warum sollen wir es uns gegenseitig durch Klagen noch schwerer machen? Laßt uns von Paulus das als großes Anliegen für unsere Briefe lernen: daß Ihr daheim nur nicht müde werdet! Wir können der großen Sache, die uns allen am Herzen liegt, viel dienen, wenn es in unseren Grüßen herüber und hinüber klingt: werdet Ihr nur nicht müde; wir sind es auch nicht!

Freilich: das hat nur dann einen Sinn, wenn dergleichen nicht über dem Herzen hinweg geschrieben wird, sondern aus wirklich vorhandener innerer Stärke herausquillt. Bei Paulus war es so. Er war äußerlich ein stark belasteter Mann, gefangen, kränklich, von vielem abgeschnitten, das ihm früher unentbehrlich schien. Aber er war stark geworden am inwendigen Menschen; stark im Glauben, im Hoffen und im Lieben. Er war stark im Blick auf das große Werk, das er getrieben hatte: es wird nicht untergehen, denn es ist ja Gottes Werk; stark im Blick auf die Seinen, denen er nach menschlichem Ermessen noch so nötig war: der ewige Gott, der ein rechter Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, wird mit ihnen sein; und er war stark im Blick auf das eigene Geschick: das stürmische Herz war zur Ruhe gekommen in der Gnade Jesu Christi, nun konnte ihn weder Leben noch Tod scheiden von der Liebe seines Gottes. — Wie war der Mann zu dieser wunderbaren Stärke gekommen? Er sagts uns in unserem Text. An Gottes Geist ist sein inwendiger Mensch erstarkt. Immer wieder hat er seine Kniee gebeugt vor dem, dessen das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit ist. So manche Stelle seiner Briefe läßt uns in das reiche, köstliche Gebetsleben [S. 33] Pauli hineinblicken. Dort lag die Duelle seiner Kraft. Gottes Brünnlein hat Wassers die Fülle; wer daraus schöpft, bekommt, was seine Seele bedarf.

Kameraden! Stark werden am inwendigen Menschen — wer unter uns möchte das nicht? Uns steht dieselbe Quelle offen, wie dem Apostel: Gottes Wort und Gebet. Laßt sie uns gebrauchen. — Vor unsere Seele trete dann das Geschick unseres teueren Vaterlandes in diesem langen schweren Ringen mit übermächtigen Feinden: wir sind ruhig darüber; im Vertrauen auf den heiligen Gott haben wir den Kampf begannen, mit seiner Hilfe werden wir ihn hindurchführen zum guten Ende. — Unsere Lieben daheim? Nicht allen, die jetzt noch hier sind, wird die Heimkehr beschieden sein; manches Weib wird beim Friedensschluß mit ihren Kindern vergeblich aus die Heimkehr des Gatten und Vaters warten. Aber wie herrlich ist der Name, den unser Briefwort für den ewigen Gott hat: der rechte Vater über alles, was da Kinder heißt, im Himmel und auf Erden. — Unser eignes Geschick? Es steht in Gottes Hand. Herr, wie Du willst, so führe mich! —

Um solche innere Stärke laßt uns ringen, Kameraden; dann steht es gut um uns und um unsere Lieben daheim. Werden dann aus solchem Geist heraus unsere Briefe geschrieben, die herüber und hinüber wandern, dann bringen sie nicht nur Freude, sondern auch Segen, ob es auch nur schlichte, für die Mit- und Nach-Welt unbedeutende Feldpostbriefe sind.

Amen.


Persons: Eisenberg, Christian
Keywords: Feldpredigten · Feldgeistliche · Feld-Divisionspfarrer · Evangelische Kirche
Recommended Citation: „Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915, Abschnitt 8: Predigt I / 8 zu Epheser 3, 13 ff.“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/76-8> (aufgerufen am 16.04.2024)