Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915

Abschnitt 12: Predigt I / 12 zu Psalm 96, 2 ff.


Singet dem Herrn und lobet seinen Namen; verkündiget von Tag zu Tag sein Heil. Ihr Völker, bringt her dem Herrn, bringt her dem Herrn dem Herrn Ehre und Macht; bringet dem Herrn die Ehre seines Namens. Betet an den Herrn im heiligen Schmuck, es fürchte ihn alle Welt. Denn er kommt, denn er kommt zu richten das Erdreich. Er wird den Erdboden richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahrheit. Psalm 96, 2 ff.


Kameraden!

Wir haben unseren Gottesdienst mit dem Lobgesang „Großer Gott wir loben Dich“ begonnen, und unser Text fordert uns aufs neue zum Lob und Preis Gottes auf. Das ist gut. Denn manchem liegt hier draußen das Seufzen näher, als das Loben, und viele sind geneigt, das zusammen zu rechnen, was schwer zu ertragen, als das, wofür zu danken ist. Laßt uns nicht undankbar sein, Kameraden. Wir haben für mehr zu danken, als wir sagen können.

Wir dürfen mit dem Persönlichen beginnen. Daß wir jetzt noch gesund und frisch hier unsere Loblieder singen dürfen, während so viele treue Kameraden, die wir kannten, bereits in der Erde ruhen oder irgendwo in einem Lazarett auf dem Schmerzenslager liegen, — ist das nicht schon Grund genug zum Danken und Loben? Oder nimmst Du gnädige Bewahrungen immer nur als etwas Selbstverständliches hin; meinst am Ende gar, Du seist besser, als die andern? Laß es Dir immer wieder durch den Sinn gehen: In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über Dir Flügel gebreitet! - Wir denken an unsere Gottesdienste, die uns treulich und regelmäßig durch die langen Kriegsmonate begleiten. Gott läßt es uns auch hier im fremden Land nicht fehlen an [S. 46] seinem Wort und Sakrament. Wie lieb sind uns diese Stunden geworden, da wir den Staub des Alltags abschütteln, da Leib und Seele sich freuen dürfen in dem lebendigen Gott! Mancher unter Euch hat hier besser, als daheim, das Wort verstehen lernen: Herr, ich habe lieb die Stätte Deines Hauses und den Ort, da Deine Ehre wohnet. Laßt uns dankbar dafür sein, daß es unserer Seele nicht an dem fehlt, was sie bedarf.

Der Rückblick auf die hinter uns liegende Woche hebt unseren Dank weit über das Gebiet des persönlichen hinaus. Die Siegesglocken haben wieder läuten dürfen. Es wird Euch dabei so gehen, wie mir, Kameraden, wenn hier unsere französischen Glocken zum Siegesgeläut einsetzen, dann hört jeder unter uns im Geist die Glocke seiner Heimatkirche mit läuten, deren Klang wir unter hundert andern heraus erkennen würden. Und sie haben ja auch alle geläutet am vorigen Donnerstag, durch Stadt und Land hindurch, im Norden und Süden, im Osten und Westen unseres Vaterlandes, bis tief in Feindes Land hinein. Warschau und Iwangorod an einem Tag gefallen — wie groß ist das! Wie stimmt das die Herzen zur Freude! Mögen die Feinde das alberne Gerede von einem freiwilligen Rückzug der russischen Armeen ausstreuen- wir wissen, daß uns diese Ereignisse einen tüchtigen Schritt vorwärts gebracht haben, wir freuen uns nicht nur darüber und sind stolz auf die Leistungen deutscher Heere; wir geben vor allem — wie das Läuten der Glocken zeigte — Gott im Himmel dafür die Ehre, wir lassen uns gern von unserem Psalm zurufen: Bringet her dem Herrn, bringet her dem Herrn Ehre und Macht, bringet dem Herrn die Ehre seines Namens!

Daß wir das dürfen, Kameraden, daß wir immer wieder mit allem, was dieser Krieg bringt, in Bitten und Flehen, in Loben und Danken vor den heiligen und barmherzigen Gott hintreten dürfen, das ist und bleibt der tiefste Grund unserer Freude und unseres sich immer erneuernden Dankes. Auch von den feindlichen [S. 47] Völkern hören wir, daß sie mit ihren Kriegsanliegen vor Gott treten. In den russischen, wie in den französischen und englischen Kirchen werden Bittgottesdienste um den Sieg gehalten, wir zweifeln nicht daran, daß es dort fromme Christen gibt, die über den Krieg und seine Not aus tiefster Seele mit ihrem Gott reden. Aber wenn diese Völker, die vom Anfang des Krieges an und schon lange zuvor eine solche ungeheuere Menge von Niedertracht und Bosheit gegen alles, was deutsch ist, ausgeschäumt, die mit der Lüge und Verleumdung gradezu ein Bündnis auf Tod und Leben abgeschlossen haben; wenn diese Völker als Ganze es jetzt wagen, mit all diesem Ballast vor Gott hin zu treten und ihn um seinen Segen für ihr Tun anzuflehen, dann erschrecken wir davor, als vor einer Heuchelei ohnegleichen. Gewiß, das letzte, für die Ewigkeit gültige Urteil darüber haben wir nicht zu fällen. Das kommt nicht uns zu, sondern dem, der den Erdboden richten wird mit Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahrheit. Wir wollen auch nicht im Blick auf das alles mit pharisäischem Hochmut sprechen: wir danken Dir, Gott, daß wir nicht sind wie jene anderen Völker: Engländer, Franzosen, Russen oder auch wie diese Italiener. Über eins wollen und dürfen wir. Wir wollen immer wieder sagen: Wir danken Dir, Gott, daß wir, das deutsche Volk, mit dem „leichten Sturmgepäck des guten Gewissens" in diesen furchtbaren Krieg haben eintreten dürfen. — Und wenn wir auf den bisherigen Gang der gewaltigen Kriegsereignisse blicken, dann vertieft sich unser Dank zur Anbetung dessen, der unsere Waffen so wunderbar segnet. — Wohl lehrt uns die Kriegserfahrung immer wieder, daß auch in den feindlichen Heeren viel persönliche Tapferkeit steckt und vieles andere, was unsere Achtung verdient. Aber liegt es über dem Ganzen dort nicht wie ein Fluch? Trotz der gewaltigen Übermacht der Zahl, trotz des Herbeiströmens von Hilfsmitteln aus aller Welt, — wo ist dort ein frisches, frohes Vorwärtsdringen, wo ein glaubensstarkes, getrostes Sich-Ausstrecken [S. 48] nach klaren, gesunden Zielen? Das ist der Fluch der Lüge, daß sie sich — früher oder später —, gleich Netzen, denen um die Füße schlingt, die sich ihr verschreiben. Weil die Wahrheit mit uns ist in diesem Krieg, darum ist Gott mit uns. Das macht uns froh und stark.

Aber nun, Kameraden, zum Schluß noch ein ernstes Wort. Es wolle sich nicht der einzelne unter uns hinter sein Volk verstecken! Laß Dir über dem dankbaren Bewußtsein: „Gott ist mit uns" nicht die immer aufs neue nötige Gewissensfrage abhanden kommen: Ist er denn auch mit mir? Kann er denn mit mir sein? Bin ich denn mit Ihm? Aus den einzelnen setzt sich das Volk zusammen. Gott kann dauernd nur mit einem Volk sein, dessen einzelne Glieder in Furcht und Liebe, in Glauben und Gehorsam zu Ihm aufblicken. Das ist die Verantwortung, die auf uns liegt. Laßt sie uns nie vergessen.

Amen.


Persons: Eisenberg, Christian
Keywords: Feldpredigten · Feldgeistliche · Feld-Divisionspfarrer · Evangelische Kirche · Lazarette · Gottesdienste
Recommended Citation: „Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915, Abschnitt 12: Predigt I / 12 zu Psalm 96, 2 ff.“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/76-12> (aufgerufen am 18.04.2024)