Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Tagebuch des Trainsoldaten und Infanteristen Max Müller aus Kassel, 1914-1916

Abschnitt 12: Im Kampf um Verdun Sommer 1916

[58-62]

Heute hat der Franzmann unseren Graben vollständig zerschossen. Wunderbarer Weise haben wir keine Verluste. Wir werden von 13er1 abgelöst, [S. 59] an die wir für 3 Tage Lebensmittel abgeben. Wir kamen nach Etraye2, wo wir in der Kirche untergebracht wurden. An Schlaf ist nicht zu denken, die Nerven sind überspannt. Heute ist Palmsonntag, herrliches Wetter. Nachmittags im Pferdestall Gottesdienst und Abendmahl. Am Ostersonntag bekam ich von Friedchen ein Paket mit Eiern und Schokolade. „Gruppe Müller“, kam der Befehl, „Fertigmachen, Reléeposten Nr. 8 in der Gottesschlucht ablösen!“ Wir stürzen unsere versalzenen Bohnen herunter und marschieren um 2.00 im Sonnenschein los. In Flabas rasteten wir ½ Std. Gegen 6.00 Weitermarsch. Um 11.00 traten wir unseren Posten an. Es kamen in den folgenden 24 Std. 9 Meldungen durch, die von meinen Leuten gewissenhaft erledigt wurden. Um 10.00 wurden wir von der 4. Komp[agnie] abgelöst. Wir zogen zur Quelle, um unseren Durst zu löschen. Bei Posten 7 mußten wir wegen starken Art.-Feuers halten. Als es nachließ, zogen wir weiter. Gegen 12.00 kamen wir im Lager an. Plötzlich Trommelfeuer, es heißt, der Gegner habe Gegenangriff auf unseren linken Flügel gemacht, sei aber nicht durchgekommen.

[S. 60] Ich fühle mich seit einigen Tagen matt und elend, Temperatur zeigt 38°. Es wütet ein heftiger Sturm. Über Flabas riß sich ein deutscher Fesselballon los, wurde von seiner Besatzung aber hinter unserer Front zum Landen gebracht, während 6 franz[ösische] Ballons von uns heruntergeholt wurden. Bin zur Untersuchung beim Oberarzt gewesen, bleibe im Revier. Stabsarzt Spätling stellt Typhusverdacht fest. Ich kam sofort im Wagen nach Crépin3. Hier konnte ich mich waschen, wurde entlaust, Kleidungsstücke desinfiziert und kam dann in ein frisches Bett. Am anderen Morgen Tee und 2 Butterbrote, fein geschmeckt. Vormittags kam der Arzt zur Untersuchung. Ich kam mit 5 anderen Kameraden in eine Isolierbaracke. Abends Blutentnahme. Gegen 10.00 kam ein Flieger und warf 4 Bomben, ohne Schaden anzurichten. 3 Kam[eraden] kommen in die Heimat zur Erholung. Mir geht es wieder besser, fühle mich ganz wohl. Habe Appetit. Heute (23. V.) [1916] 2 Pakete (Spargel und gebr[atenem] Fisch). Als ich mir Beides schmecken ließ, kamen Schwarze durch, die bei Douaumont4 gefangen genommen sind. Am (27. V.) [1916] aus dem Revier [S. 61] entlassen, habe noch 3 Tage Schonung. –

Nach den schönen Wochen regnet es jetzt dauernd. Unsere Gräben sind voll Wasser. Eben haben wir einen Laufgraben von franz[ösischen] Gefallenen gesäubert. Eine eklige Arbeit, gestunken haben die Leichen, sie fielen unter den Händen auseinander, nur die Uniform hielt den Körper noch zusammen. Franzmann knallt wie verrückt. Ein Ersatzmann, ein Kerlchen von 17 Jahren, hat einen Nervenchock [!] bekommen, er jammert immerzu nach seiner Mutter. Wir schanzen nur noch in der Nacht. Heute (16. VI.) arbeiten wir an einem Graben, in dem 400 Franzosen liegen, der als Massengrab gedacht ist. Mondhelle Nacht. Gegen 4.00 Schluß. Im Eiltempo zum Graben zurück. Als wir kurz am Grabeneingang waren bekamen wir Feuer. Kurz vor unserer Küche schlug ein Volltreffer in den Munitionsunterstand der Pioniere ein, der voller Handgranaten lag. Mit einem fürchterlichen Getöse gingen diese in die Luft. Zum Mittag gab es heute (17. VI) [1916] Bohnen mit Fleisch. Als wir gerade schmausten, Befehl „Fertigmachen!“. Wir also los, und besetzten den zweiten Graben, [S. 62] um einen etwaigen Durchbruch zu verhindern. Die Nacht war sehr unruhig. Rote, grüne und weiße Leuchtkugeln gingen hoch. Wir hatten das schönste Feuerwerk. Der Franzmann blieb hübsch daheim und wir zogen am anderen Morgen wieder ab, um unser unterbrochenes Mittagessen weiterzuführen. Ein Unterstand, in dem Sandsäcke lagen, wurde in Brand geschossen, ein Unteroffz. und zwei Wasserträger sind dabei verbrannt. Heute (1. VII.) [1916] schoß ein franz[ösischen] Flieger einen deutschen Fesselballon ab, der Beobachter, ein Feldwebel, starb bald nach seiner Einlieferung. Der Franzose wurde bei Verdun von einem deutschen Flieger überholt und zur Strecke gebracht. – Holl und ich sind zu 1/39. kommandiert. Ich übernehme die Gruppe Klinke. Der Laufgraben steht voll Wasser, wir sorgen für Abfluß und bauen neue Schulterwehren. Franzmann belegt Gottesschlucht mit Granaten, wobei 50 Rinder und Pferde draufgehen. Ein fürchterlicher Gestank. Zur Abwechslung schießt der Franzmann mit Gas, bei dem er aber mehr Schaden hat als wir, weil der Wind für uns günstig weht.5


  1. Das Infanterie-Regiment „Herwarth von Bittenfeld“ (1. Westfälisches) Nr. 13.
  2. Étraye, Ort im Département Meuse etwa 25 km nördlich von Verdun.
  3. Wahrscheinlich Crépion, heute Moirey-Flabas-Crépion, nördlich von Verdun.
  4. Ort und Fort Douaumont nordwestlich von Verdun.
  5. Hier bricht der Text ohne erkennbaren Grund ab. Der Rest des Buches ist unbeschrieben.

Persons: Müller, Max
Recommended Citation: „Tagebuch des Trainsoldaten und Infanteristen Max Müller aus Kassel, 1914-1916, Abschnitt 12: Im Kampf um Verdun Sommer 1916“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/179-12> (aufgerufen am 24.04.2024)