Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources


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Seite 52-53

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Seite 54-55

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Seite 56-57

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Seite 58-59

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Seite 53: Zerstörter Wald auf dem Combreshöhen

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Seite 55: Max Müller und Kameraden vor ihrer Unterkunft.Im Vordergrund unten links (neben der Flasche) eine französische Flügelmine.

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Seite 56: Soldaten in einem Granattrichter

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S. 56: Das zerstörte Dorf Louvemont bei Verdun

↑ Tagebuch des Trainsoldaten und Infanteristen Max Müller aus Kassel, 1914-1916

Abschnitt 11: Verheerende Zerstörungen bei Verdun

[52-58]

Heute [13.3.16]1 wurde ich zum Unteroffz. befördert. Abends nähte mir Kam[erad] Zeumer die Tressen an. – Ich fühle mich sehr matt. Verschiedene haben sich krank gemeldet, leiden an Durchfall und Erbrechen. [S. 53]

Unser Reg. hat schon etwa 1.000 Mann Verluste. Gegen Mittag schossen wir ein feindl[iches] Flugzeug ab. Wir liegen auf der Höhe des Combreswaldes und haben bei herrlichem Sonnenschein wunderbaren Ausblick auf das Ruinendorf Flabas.2

Mit 4 anderen Unteroffz. und 50 Mann legten wir Kabel bis zum zerschossenen Dorfe Louvemont3, wobei wir reichlich vom Feind mit Granaten bedacht wurden. Es ging aber alles [S. 54] gut ab. Es wird gemunkelt, daß wir abgelöst werden sollen. Wir sind damit einverstanden. Von einem gefallenen Pferd holen sich Kam[erad] Stücke zum Braten. Ich kann nicht ran, beim besten Willen nicht. Lieber esse ich mein Brot trocken. Am 27. [März 1916] lösten wir die 57er4 ab. Im Laufe des Nachmittags wurden 2 franz[ösische] Flieger abgeschossen. Auch bekamen wir heftiges Feuer. Ich lag in Deckung bei der 7/39. In meiner Nähe schlug ein Volltreffer in die Feldküche, die vollständig zertrümmert wurde. 4 Verwundete 1 Toter. Die franz[ösische] Artillerie schießt ohne Pause. Die 13er5 lösen uns ab. Wir kommen nach Neu-Warville in feine Wohnbaracken. Am 26. [März 1916] habe ich meine erste Unteroffz.-Löhnung bekommen 13.34 Mk. Auf beiden Seiten ist rege Artillerietätigkeit. Wir treten an zur Entlausung, ich habe Läuse, Viecher, die ich früher nicht gekannt habe, na dafür ist es Krieg. Wenn nur dieses elende Jucken nicht wäre. Man kratzt sich ganz wund. Heute war Feldgottesdienst, anschließend fahren Urlauber. Es ist herrliches Frühlingswetter, wunderbarer Sonnenschein. Wir wollen unsere Villa ein [S. 55] wenig säubern, uns fein machen und uns dann fotografieren lassen.6

Unseren letzten Ruhetag benutzten wir dazu, einen Spaziergang durch den Houmontwald7 zu machen und die Gräber unserer am 22.II. gefallenen Kameraden zu besuchen. Ob die Gräber noch erhalten waren oder ebenso zerschossen wie dieser ehemals wundervolle Wald, in dem [S. 56] ein Granatloch am anderen war, in dem die Bäume geknickt waren und kreuz und quer herumlagen und ihre zersplitterten Stämme anklagend zum Himmel reckten? Kam[erad] Koch pflückte einen Strauß Waldblumen, die hier üppig wucherten, es waren zartweise Anemonen. Wie wohltuend war der Anblick der Gräber, die fast unversehrt waren, obwohl ringsum alles verwüstet war. Wir legten die Blumen auf die Gräber, sprachen ein kurzes Gebet und nahmen Abschied von unseren Kameraden.8

[S. 57] Die schönen Ruhetage sind vorbei, wir lösen die 57er9 ab. Um 7.00 ging es los. Im Warvillewald10 bekamen wir heftiges Art.-Feuer. Jeder sauste in Deckung, ich fand ein Loch und plumpste hinein. Pfui Deibel, wonach stinkt das hier so gemein? Bis zu den Knien steckte ich in diesem stinkenden Schlamm. Mit einem Male kam ich hinter dieses stinkende Geheimnis, ich war in einer ehemaligen Latrine, ausgerechnet in eine Latrine, gefallen war. Was half es, lieber hier aushalten, als eine bessere Deckung suchen und das Leben riskieren. Dreckig war ich nun doch und den edlen Geruch konnte ich auch nicht los werden. Als das Feuer aufhörte und wir uns sammelten gab es ein großes Hallo. Die Kam[eraden] halfen mir den Mist mit dem Messer abkratzen. 8 Tage später rochen meine Sachen immer noch. – Da unser Graben reparaturbedürftig war, mußte mein Zug nach Louvemont, das vollständig zerschossen war und Bretter und Balken holen. Wir uns aufgemacht und los. Viel erwarteten wir nicht, aber was wir fanden war kläglich. Daß Louvemont zerschossen war, konnten wir von unserer Stellung aus sehen, aber daß kein Stein mehr [S. 58] auf dem anderen saß, konnten wir jetzt erst feststellen. Hohl klangen unsere Schritte in diesem Trümmerdorf, das der Franzmann und unsere Art. unter Feuer genommen hatten.

{Foto: Straßenansicht eines zerschossenen Dorfes, vermutlich Louvemont}


  1. Über der Zeile nachgetragen.
  2. An dieser Stelle ist ein Foto des verwüsteten Waldes eingefügt.
  3. Louvemont-Cote-du-Poivre (nördlich Verdun) gehört zu den vollkommen zerstörten und nicht wieder aufgebauten Orten in der Kampfzone um Verdun. Siehe dazu die französische Internetseite: Les Treyssede
  4. Das Infanterie-Regiment „Herwarth von Bittenfeld“ (1. Westfälisches) Nr. 13.
  5. Ein Foto der Gruppe vor ihrer Unterkunft ist hier eingefügt.
  6. Vermutlich der Wald bei dem zerstörten und nicht wieder aufgebauten Ort Haumont-près-Samogneux nördlich von Verdun.
  7. Hier ein Foto deutscher Soldaten in einem tiefen Granatloch eingefügt.
  8. Vermutlich der zum Argonnerwald gehörende, südwestlich des Ortes Wavrille liegende Wald.

Persons: Müller, Max
Recommended Citation: „Tagebuch des Trainsoldaten und Infanteristen Max Müller aus Kassel, 1914-1916, Abschnitt 11: Verheerende Zerstörungen bei Verdun“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/179-11> (aufgerufen am 28.03.2024)