Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Karl Rühl, Auszug und erste Kriegswochen des Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 116 aus Darmstadt und Gießen, 1914

Abschnitt 12: Ende des Bewegungskrieges, Bilanz der Marneschlacht

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Die dauernden Schwierigkeiten in der Verpflegung und die anhaltend nasse Witterung rufen zahlreiche Darmleiden bei den Mannschaften hervor; die Stimmung leidet dadurch, das Aussehen der Leute verschlechtert sich zusehends. Am 21. 9. tritt II. wieder in den Verband des Regiments zurück und hat am 22. Ruhetag in Cernay, wo innerer Dienst abgehalten wird. Am 23. 9. löst es III. ab, das sich seinerseits nach Cernay begibt. I. löst auf sich selbst ab, mit zwei Kompagnien in Stellung, zwei Kompagnien in Cernay. Am 24. abends wechseln II. und III., II. rückt nach Cernay. Die Bataillone sind häufigem Artilleriefeuer ausgesetzt, doch bleiben die Verluste in erträglichen Grenzen. Seit dem 23. 9. untersteht das Regt. der 15. R.D., VIII. R.K. Am 25. 9. abends trifft ein Befehl der 15. R.D. ein, wonach von der 32. Res. Brig. Höhe 180, 191 und die Briketterie zu nehmen sind.

Dieser Angriff ist ein Teil des allgemeinen Vorstoßes der 3. Armee am 26. 9., der aber nach anfänglichen Erfolgen ebenso stecken bleibt, wie der von den Franzosen versuchte Gegenangriff. L. 116 wird zunächst mit zum Angriff bestimmt. Dieser Befehl wird 8.00 nachm. dahin umgeändert, daß das Regiment die Stellungen von R. 30 einnimmt und den Angriff unterstützt. I. besetzt am 26.9. nachts 1 Uhr die Stellung von R.30 etwa 1 km südöstl. Chausson-Ferme. Mittlerweile trifft der zum dritten Male umgeänderte Befehl ein, wonach die 49. Ldw.- Brig. am 26. 9. bei Höhe 143, 2 km südl. Maison de Champagne-Ferme, der 16. R.D. zur Verfügung steht. II. trifft dort ein am 26.9. im Laufe des Vormittags, nachdem es bis 7.00 vorm. dem R. 17 zur [S. 25] Verfügung gestanden hat. Das zu diesem Sammelplatz aus seiner Stellung (kaum bezogen) abmarschierende I. erhält unterwegs den Gegenbefehl, sich zur Verfügung des R. 17 nach Richtung Höhe 191 zu begeben. Major Ruhnau nimmt in dem Talkessel nördlich der Höhe Aufstellung. 1., 3. und Teile der 2. Komp. schieben bei R. 17 ein und nehmen am Angriff teil. Fehlende Unterstützung durch eigene Artillerie, infanteristische Flankenwirkung aus der Etangschlucht lassen den Angriff nur langsam vorwärts schreiten. Die östlich kämpfenden Truppen gewinnen ebenfalls nur spärlich Gelände, so daß die Division am Abend des 26.9. das Zurückgehen in die alten Stellungen befiehlt.

Verluste am 15. 9. bis 26. 9.: An Offizieren gefallen: Off. Stellv. Müller, verwundet: Lt. Schuster, Off. Stellv. Kürschner. An Unteroffizieren und Mannschaften gefallen: 32, verwundet: 124, vermißt: 2.

Am Abend des 26. September trifft bei trübem, naßkaltem Wetter der Befehl ein, daß die Stellungen auszubauen und zur nachhaltigen Verteidigung einzurichten sind; das Ende des Bewegungskrieges ist gekommen. Noch einmal hatten beide Heere ein letztes Ringen versucht, um in der offenen Feldschlacht eine entscheidende Wendung herbeizuführen. Beide hatten ihre Kräfte gemessen und sich überzeugt, daß eine Entscheidung nur durch eine Umfassung der beiderseits noch ungedeckten Flanken im Norden der Linie möglich war. Sollte auch diese mißlingen, dann war für den Krieg ein Ausblick auf ungeahnte Weiten eröffnet. Tatsächlich fängt mit diesem Augenblick der wirkliche Krieg von bewaffnetem Volk gegen bewaffnetes Volk an. Andere Faktoren wie überlegene Führung und persönliche Tapferkeit beginnen mächtigen Einfluß auf den Gang der Kriegshandlungen zu gewinnen. Ein grauer Schleier umwallt die Zukunft, der für das deutsche Volk bei seiner völligen Abgeschlossenheit beinahe undurchdringlich dunkel ist.

Bis 12.00 nachts besetzt I. wieder die Stellung des R. 30 (südwestlich Sargdeckel), III., das sich nach Ablösung auf dem Marsch zum Sammelplatz der Brigade befand, besetzt 2.00 vorm. die Gräben westlich Punkt 150, etwas weiter westlich der eben verlassenen Gräben. Anschluß nach Osten an R. 80. Am 27. 9. nimmt II. unter Lt. Schäfer zur Verfügung der 16. R.D. (31. Res. Brig.) eine Stellung nördlich Höhe 196, südwestlich Ripont, südlich der Straße Cernay—Perthes ein, die Kompagnien abwechselnd in den Gräben des R. 28 und in Ripont. Am 29. 9. wird I. durch R. 17 abgelöst und begibt sich nach Cernay; am 30. 9. übernimmt Oberst Niemann die Führung des Regiments. Im übrigen ist die Lage unverändert. Am 1. Oktober treffen 500 Ersatzmannschaften ein. [S. 26] Am 2. 10. bei III. heftiges Feuergefecht, II. tritt wieder in den Verband des Regiments zurück. Oberst Niemann erkrankt und verläßt das Regiment: Major Müller übernimmt vorläufig die Führung. Am 2.10. wird die 49. Landwehr-Brig. in Séchault zusammengezogen und steht als Armeereserve der 4. Armee zur Verfügung. Unterkunft in Séchault; III., dessen Führung Hptm. Perschke für Hptm. Schenck zu Schweinsberg übernimmt, wird vom III./R. 80 abgelöst und bezieht gleichfalls in S. Unterkunft. Am Vormittag des 3. 10. findet der erste Feldgottesdienst seit Kriegsbeginn statt. Wenn auch die Unterkünfte sehr eng sind, so wird doch die Entfernung aus der Feuerlinie, die Möglichkeit und Gelegenheit zur körperlichen Reinigung und die geordnete Verpflegung mehr als wohltuend empfunden.


Persons: Rühl, Karl · Ruhnau, Major · Müller, Offizierstellvertreter · Schuster, Leutnant · Kürschner, Offizierstellvertreter · Müller, Major · Niemann, Oberst · Perschke, Hauptmann · Schenk zu Schweinsberg, Hauptmann
Places: Cernay-en-Dormois · Maison-de-Champagne · ferme · Ripont · Séchault
Keywords: Landwehr Infanterie-Regiment Nr. 116 · Truppenverpflegung · Marneschlacht · Krankheiten · Artilleriefeuer · 15. Reserve-Division · VIII. Armeekorps · 32. Reserve-Brigade · 49. Landwehr-Brigade · 16. Reserve-Division · Gefallene · Verwundete · Vermißte · Ersatzmannschaften · Feldgottesdienste
Recommended Citation: „Karl Rühl, Auszug und erste Kriegswochen des Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 116 aus Darmstadt und Gießen, 1914, Abschnitt 12: Ende des Bewegungskrieges, Bilanz der Marneschlacht“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/112-12> (aufgerufen am 29.03.2024)