Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Franz Goldschmitt, Kriegserlebnisse evakuierter Metzer Bürger in Hessen, 1914-1915

Abschnitt 37: Sorge um zurückgebliebene Metzer

[59-61] Es kamen noch sorgenvolle Stunden. Besuch folgte auf Besuch. Dem einen fehlte die Tochter, dem andern die Frau, der Bruder oder die Schwester. Vier Telegramme, Dutzende von Eilbriefen liefen aus Hessen ein mit der Bitte um Passierscheine. Einige Beispiele:


… , den 28. 11. 1914.
„Ich Michel und Jakob W. will ihnen zu wissen tun, daß wir unschuldig leiden müssen, und uns keiner helfen kann wie Sie und unser allmächtiger Gott. Mitt Gedult wollen wir es ertragen, gleich wie unser Heiland den Tod erlitten hat für uns Menschen. Da wir doch stetz und stendisch für unsere Eltern gearbeitet haben und doch jetzt so plötzlich von ihnen getrennt worden sind, wenn sie meinen, daß dies nicht auf Wahrheit beruht, so können sie sich bei meinem Meister Herr L. erkundigen ... Als ich diesen Brief geschrieben habe, kamen mir die Tränen in die Augen, da wir doch unschuldig sind ... Nun will ich schließen und euch Traurig grüßen...


Cassel, den 17. 10. 1914.
Lieber Seelsorger.
Da ich hier sitze und weiß nicht warum, so mögte ich sie doch bitten mir daß mitzuteilen. Herr Pfarrer sind sie doch so gut und machen sie doch daß ich nach Hause komm in mein Geschäft den hier vergehe ich bald vor Verzweiflung weil sich niemand um mich bekümmert. Ich bin doch eine bekannte Persönlichkeit den ich wohne schon 28 Jahre in der Zeughaußstraße und habe mir während diesen Jahren nichts zu Schulden kommen lassen. Darum Herr Pfarrer vergessen sie mich als altes Pfarreikind nicht.
Ich voraus den besten Dank.


Cassel, den 18. 10. 1914.
Sehr Geehrter Seelsorger.
Da ich hier in der fernen Stadt weile und immer auf eine freutige Zeit warde, wo ich mit meiner Familie nach meiner Heimatsstadt zurück kehren werde und [S. 60] immer kein richtiger Bescheid weiß, so dringe ich mit der Bitte zu Ihnen, voran daß liegt daß ich auf mein Telegramm keine Antwort erhalte. Lieber Seelsorger so sind sie doch so gut und tun sie Schritte daß auch ich nach Hause komme. Ich bin in Metz geboren und habe in Eurer Pfarrei die heilige Taufe, u. Kommion erhalten, meine Brüder haben die Taufe u. Kommion auch hier gemacht. Und sogar meine Mutter hat sich in Eurer Pfarrei geheiratet. Darum bitte ich sie aus dankbarem Herzem für mich zu sorgen daß ich mit Frau, Brüder und Kinder nach Hause komme. Ich wohne … früher wohnte ich Untersaalstraße. Herr Pfarrer hört auf meine Bitte und laßt mich nicht so lange auf Antwort warten. Erkundigen sie sich bei meiner Mutter.
Ich voraus den besten Dank.
Familie
Achtungsvoll Baldige Antwort.


Kassel den 16. Oktober 1914.
Sehr Geehrter Herr Pfarrer Goldschmidt. Meinem verlangen nach ergreife ich die Feder zur Hand um ihnen einige Traurig Worte mitzutheilen. Ich Herr Nicolaus Ch. sitzte in Kassel in der Stadtkaserne mit meiner Familie wir sind im ganzen 7. Personen ich bin ganz krank in Kassel zu sein weil die andern alle nach Metz gekommen sind und wir sind noch in der Kaserne haben doch nicht's verbrochen meine Töchter haben doch ihre Stellen in Metz bei Militär da sind sie schon 7. Jahre und da sind sie doch so gut und machen sie doch daß wir nach Metz kommen denn wir waren in Kassel auf dem Bürgermeisteramt da sagte der Herr Säckräter wir sollen an sie schreiben für uns liegt doch nicht’s vor wir wären doch anständig allso sehr geehrter Herr Pfarrer Goldschmidt sind sie so gut, und machen sie da wir sobald als möglich das wir nach Metz kommen sie wießen das wir alle Katholich sind.
Unsere Namen sind […]


[S. 61]

Mein Besuch beim Herrn Polizeipräsidenten und ändern hohen Herren erwirkte Passierscheine für rund neunzig Personen, die einige Tage später in Begleitung des Herrn Polizeikommissars Janocha nach Metz kamen.

Da meine Vermittlung nicht allen genützt hat, ergrimmten manche gegen mich. Einige drohten mit Konfessionsänderung, andere mit körperlicher Züchtigung und gar mit dem Tode.

[Gedicht, hier nicht wiedergegeben]

Die Bischöfliche Behörde ernannte mich im Mai 1915 zum Kaplan in Niederjeutz, wo meine beiden Kollegen eingezogen waren. Am 1. Oktober wurde ich Hilfspfarrer in Barst.

[Gedicht „Wohl sah ich manchen stolzen Strom“, hier nicht wiedergegeben.]


Recommended Citation: „Franz Goldschmitt, Kriegserlebnisse evakuierter Metzer Bürger in Hessen, 1914-1915, Abschnitt 37: Sorge um zurückgebliebene Metzer“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/99-37> (aufgerufen am 26.04.2024)