Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Franz Goldschmitt, Kriegserlebnisse evakuierter Metzer Bürger in Hessen, 1914-1915

Abschnitt 1: Die Situation in Metz zu Beginn des Krieges 1914

[7] Als sich die düstern Wolken des herannahenden Weltkrieges Ende Juli 1914 drohend am politischen Himmel zusammenballten, herrschte in der Grenzfestung Metz begreiflicherweise eine fieberhafte Aufregung. In allen Gesichtern Angst und Sorge vor der ungewissen Zukunft. Leute mit lebendiger Phantasie schilderten in den schwärzesten Farben die Leiden der bevorstehenden Belagerung. Welch' tolle Gerüchte wurden von Ohr zu Ohr getuschelt!

Am 1. August, nachmittags vier Uhr, hörte man Trommelgewirbel. Welch eine Aufregung! Kinder liefen johlend umher: „Es ist Krieg, Krieg!" riefen sie. Hunderte von Frauen rannten wie toll zum Vierhäuserplatz. Hier verlas ein Soldat erst deutsch, dann in tadelloser Aussprache auch französisch die Verkündigung des Kriegszustandes vor. Jetzt regierte Mars die Stunde. Kriegserklärung folgte auf Kriegserklärung. Feindliche Flieger flogen über die Stadt. Entsetzlicher Kanonendonner der Abwehrgeschütze. Die Angst wuchs mit jeder Minute.

Sonntag, den 2. August und im Laufe der ganzen Woche waren die Beichtstühle umlagert. Viele Soldaten stärkten sich mit einer guten Kommunion auf die kommenden schweren Stunden. Zweimal teilten wir sogar nachts die Hl. Kommunion aus. In diesen bewegten Tagen suchte ich, wilde Ehen in Ordnung zu bringen. Mit ein, zwei Kindern lebten viele beieinander, ohne zivil und kirchlich getraut zu sein. Dreizehn Ehen konnten noch in aller Eile geregelt werden. Wie weinte manch junge resp. alte Braut! Der Mann stürmte vom Altare im Laufschritt zur Kaserne.


Recommended Citation: „Franz Goldschmitt, Kriegserlebnisse evakuierter Metzer Bürger in Hessen, 1914-1915, Abschnitt 1: Die Situation in Metz zu Beginn des Krieges 1914“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/99-1> (aufgerufen am 25.04.2024)