Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Franz Goldschmitt, Kriegserlebnisse evakuierter Metzer Bürger in Hessen, 1914-1915

Abschnitt 30: Besuch der Metzer am Mittelrhein und im Taunus

[47-49] In Osterspai und Camp wohnten 154 Metzer. In den Pfarrgärten versammelten sie sich um den Kaplan, der ihnen so viel und doch zu wenig erzählte. Es war unterdessen dunkel geworden. Bis St. Kestert gedachte ich zu kommen. Der Wille war stark, doch das Fleisch schwach. In Bornhofen lud mich ein freundlicher Hotelbesitzer ein. Nach der Hl. Messe im Franziskanerkloster, wo zwei Metzer Patres weilten, wurde am folgenden [S. 48] Morgen trotz strömenden Regens die Missionsreise fort-gesetzt.

Der Weg von Wellmich durch die Weinberge steil den Berg hinauf nach Nochern erpreßte mir manch heißen Schweißtropfen. Welch ein Schmutz auf den Straßen! Im Dorf angelangt, fragte ich einen Greis nach der Wohnung des Pfarrers. Der Mann schaute mich verlegen an. „Ich kann nicht sprech' deutsch". Wie freute sich der gute Alte, als er eine Antwort in französischer Sprache erhielt! Ein Laufbursche stürmte nach Weiler hinauf und lud alle Metzer zu der sonntägigen Versammlung ein.

Der Weg von Nochern nach St. Goarshausen war äußerst schmutzig, dazu die steilen Weinberge hinunter lebensgefährlich. Hätte ich einen Fehltritt getan, wäre ich wohl schnell wie ein geölter Blitz direkt hinunter auf den Kirchhof gerollt. Nasses Gras säuberte meine Schuhe, ein feuchtes Taschentuch das untere Ende der Hosenbeine. Nun folgte in aller Eile am Bahnhof ein warmes Mittagessen; um ein Uhr sauste der Zug ab, und schon um zwei Uhr kamen meine Pflegebefohlene in Lorch, Kreis Rüdesheim, zum Bahnhof. Finster war das Antlitz der Männer, trotzig ernst das der Frauen; bei allen herrschte Mißmut und Verstimmung. Niemand wollte noch länger in der Fremde bleiben. […]

In dem Städtchen Caub kostete es mir viele Mühe, die Landsleute zusammenzutrommeln. Alle versprachen mir, am Sonntag nach St. Goarshausen zu kommen. Der Herr Stadtpfarrer besorgte die Einladung in Dörscheid.

Gegen fünf Uhr stieg ich durch das Blüchertal berghinan. Es regnete wieder ganz schauerlich. Stockfinster war‘s schon, als in Weisel die Metzer zur Kapelle eilten, wo im flackernden Schein der Petroleumlampe der todmüde Wanderprediger einen anderthalbstündigen Vortrag an die gespannt lauschende Menge hielt. In einer Wirtschaft trank ich zu meiner Erwärmung ein Glas Branntwein. Kratzte der so entsetzlich in meinem Hals! [S. 49]

Draußen kein Regen mehr. Es war wie vom Himmel heruntergeschüttet. „Bis zum Kloster Schönau sind's volle zwei Stunden", sagte man mir. „Dann dieses Hundswetter! Dazu ein weiter, finsterer Wald. Hochwürden übernachten besser hier". Mein Eigensinn trieb mich weiter. Welch ein Marsch in dem dunkeln Wald, auf dem holperigen, schmutzigen Weg von acht Uhr bis halb elf! Einmal hatte ich mich verirrt. Wie aus dem Geäst der nassen Bäume herauskommen? Mein Lebtag bleibt mir diese schaurige Nacht im Gedächtnis.

Tausend Teufel hätten mich nicht aus Lipporn gebracht, so hatte die Müdigkeit meine Beine gelähmt. Wo nur ein Bett finden? In einem Tanzlokal richtete man ein Notquartier ein. Hu! Wie kalt war's hier! Dazu tröpfelte der Regen durch die Fensterfugen. Trotz des Sturmes, der in der Nacht Bäume geknickt hatte, hielt mich der Schlaf bis sieben Uhr gefangen.


Recommended Citation: „Franz Goldschmitt, Kriegserlebnisse evakuierter Metzer Bürger in Hessen, 1914-1915, Abschnitt 30: Besuch der Metzer am Mittelrhein und im Taunus“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/99-30> (aufgerufen am 06.05.2024)