Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Henriette Fürth, Aus der Autobiographie der Frankfurter Frauenrechtlerin und Sozialpolitikerin, 1914-1918

Abschnitt 5: Soziale Maßnahme zur Linderung der Kriegsnot

[179-180] Die Panikstimmung der Geschäftswelt legte sich und für manche ist der Krieg nachmals eine Fundgrube reichen Verdienstes geworden. Die Niedergeschlagenheit der Menschen im Allgemeinen wuchs aber. Wie ich ihr nach meiner schwachen Kraft durch Veranlassung der Weiterversicherung der Kriegsteilnehmer bei der Ortskrankenkasse, durch freigelassene Verdienstspanne der Kriegsteilnehmerehefrauen und endlich durch die Gründung einer gegen harte Widerstände durchgesetzten Kriegsküche zu begegnen suchte, habe ich in anderem Zusammenhang bereits erzählt. Auch die Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen sorgte (nicht zuletzt durch Anregung meines Mannes) in vorbildlicher Weise für die Familien ihrer zur Fahne gerufenen Mieter. Einmal dadurch, dass sie alle Kriegsteilnehmer für den Todesfall versicherte. Dann durch Mietnachlässe, Weihnachtsbescherungen etc.

Aber alles war nichts anderes als ein Tropfen auf den glühheißen Stein einer immer weiter greifenden Not und Verzweiflung. Ich gab ihr in einem Gedicht Ausdruck, das im Spätherbst 1914 in der Frankfurter Zeitung erschienen ist und das lautet:


Tage des Wartens

Über der Erde hangen die Nebel.
Über die Erde ziehen die Stunden dahin beschwert.
Fern dort im Westen kämpfen die Besten, um Hof und Herd.
Weit, weit da drüben, ferne dem Blicke,
bricht unsres Herzens Heimat in Stücke,
graset der Tod.[S. 180]
Sodann wie Wochen schwinden und gehen.
Sie aber bleiben, sie aber stehen,
aufrecht vor Gott.
Sie stehen aufrecht. Dürfen wir klagen?
Stark gilt’s zu sein.
Würdig der Helden,
die gegen Welten
Dort uns befrei’n.
Stark gilt’s zu sein und gilt zu vertrauen,
jenen, die draußen die Zukunft uns bauen,
mit ihrem Blut.
Tage des Wartens, Tage der Sorgen,
ziehen vorüber. Bald kommt ein Morgen,
da wird es gut.
Darum lasst freudig uns überwinden,
Kleinmut und Zagen. Groß soll uns finden,
was riesengroß.
So sei denn stille auf uns genommen,
mag es uns wehtun, mag es uns frommen,
was unser Los!


Persons: Fürth, Henriette
Recommended Citation: „Henriette Fürth, Aus der Autobiographie der Frankfurter Frauenrechtlerin und Sozialpolitikerin, 1914-1918, Abschnitt 5: Soziale Maßnahme zur Linderung der Kriegsnot“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/29-5> (aufgerufen am 26.04.2024)