Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Henriette Fürth, Aus der Autobiographie der Frankfurter Frauenrechtlerin und Sozialpolitikerin, 1914-1918

Abschnitt 3: Gründung eines Vereins für junge Frauen

[177-178] Im Verfolg dieser Angelegenheit, die ja nicht nur eine Brotfrage, sondern auch eine solche geistig-sittlicher Existenz war, wurde dann eine Vereinigung gegründet, die sich zur Aufgabe setzte, den in dieser doppelten Weise bedrohten jungen Weiblichen von allen Seiten her zu Hilfe zu kommen. In der Gründungsversammlung tat ich dar, dass es nicht nur genüge, den Mädchen ihre Existenz zu erhalten, bzw. ihnen über die existenzlose Zeit durch Unterstützung fortzuhelfen, und dass es ferner nicht damit getan sei, die arbeitslose Zeit zur Ergänzung von Bildungslücken und Erweiterung des Berufs- und Gesichtskreises auszunützen. Ich wenigstens erblicke eine weitere Hauptaufgabe darin, den Mädchen in diese lichtlosen Tage ein wenig Freude zu tragen, und vor allem, ihnen eine Heimstatt zu geben bzw. [S. 178] zu erhalten. Der Mensch müsse etwas haben, das ihm zur Heimat werden könne. Einen Raum, der ihm gehöre, den er abschließen, in dem er für sich allein sein, an dessen Wänden er ihm liebe Bilder aufhängen könne usw.

Ich wurde einstimmig zur Vorsitzenden dieses neuen Vereins gewählt, habe diesen Vorsitz aber nicht lange behalten, da sich Ehrgeizigere fanden, die ihn gerne haben wollten. Dagegen hatte ich im Vorstand noch einen Kampf auszufechten, von dem um seiner grundsätzlichen Bedeutung willen noch mit einigen Worten die Rede sein soll. Ich hatte meine Forderungen nach Veranstaltung von fröhlichen Darbietungen durch Vorträge, Lieder, Dialektdichtung, Lieder zur Laute gegen Widerstand zu verteidigen und führte begründend aus, dass wir gereifte Menschen das entsetzliche Kriegsgeschehen und alles, was damit zusammenhängt, besser überwinden und uns auch durch Arbeit betäuben könnten, dass aber die Jugend neben der sittlichen und ökonomischen Halte, die wir ihnen zu geben versuchten, auch der reinen unbeschwerten Freude bedürfe. Man hat mir damals von hochgeistiger und vielleicht hyperidealer Seite das Wort der „Betäubung“ sehr übel genommen und ausdrücklich betont, dass es sich bei unserer Arbeit nicht um eine Betäubung, sondern um die Erfüllung einer Pflicht handele. Ich habe erwidert, dass es sich für mich nun einmal um eine Betäubung handele, denn ich habe einen Sohn im Felde. - Die Praxis hat meiner Auffassung Recht gegeben. Eine von mir durchgeführte Morgenfeier, bei der das heitere Element stark im Vordergrund stand, verlief in wundervoller Weise.


Persons: Fürth, Henriette
Keywords: Verein für junge Frauen · Frauen · Mädchen · Sozialfürsorge
Recommended Citation: „Henriette Fürth, Aus der Autobiographie der Frankfurter Frauenrechtlerin und Sozialpolitikerin, 1914-1918, Abschnitt 3: Gründung eines Vereins für junge Frauen“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/29-3> (aufgerufen am 26.04.2024)