Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Adolf Otto, Kriegstagebuch des Kurhessischen Jägerbataillons Nr. 11 aus Marburg, 1914-1918

Abschnitt 16: Verfolgung deustcher Truppen auf ihrem Rückzug

[23-24] Der heraufdämmernde Tag brachte aber keinen erneuten Angriff des Feindes. Nur das Infanteriefeuer flackerte stärker auf und am Nachmittag auch das der französischen Feldgeschütze. Nach Einbruch der Dunkelheit griff der Feind Berry-au-Bac an und drängte das Regiment Augusta aus dem Ort heraus. Da die linke Flanke des Bataillons nunmehr stark gefährdet war, wurde die linke Flügelkompagnie bis zur Straße Guignicourt–Pontavert zurückgebogen und durch 3. Kompagnie, sowie 2 Züge der Maschinengewehrkompagnie verstärkt. Heftiges Granatfeuer lag auf den Stellungen, und der Tag war für das Bataillon verlustreich, obgleich es nicht eigentlich gekämpft hatte. Oberleutnant v. Scheffer, Leutnant d. R. v. Sachs und 25 Oberjäger und Jäger wurden verwundet, 2 Oberjäger und 5 Jäger fielen. Erst gegen Morgen konnten die Feldküchen vorgezogen werden und Essen ausgeben.

Kaum graut der regnerische Tag, so heulen die ersten Granaten herüber und verbessern nicht gerade die durch Nässe und mißliche Lage ohnehin schon grämliche Stimmung. Der Verlust Berry-au-Bacs macht sich bemerkbar: Fortgesetzt versuchen kleine feindliche Abteilungen von dort gegen das Bataillon vorzustoßen und müssen mit Gewehr und Maschinengewehr in Schach gehalten werden. Erst gegen Abend schlief das Artilleriefeuer ein, um kurz vor Mitternacht plötzlich wieder einzusetzen. Gleichzeitig stürmten von Berry-au-Bac her dichte französische Kolonnen gegen die Stellung des Bataillons. Im Augenblick war der Feind in den Gräben der 3. Kompagnie, die sich in heftigem Nahkampf zur Wehr setzte. Nach erbittertem hin- und herwogenden Kampf gelang es endlich, den Gegner aus der Stellung wieder herauszuwerfen und ihn in seine Ausgangsstellung zurückzuschicken. Zahlreiche Tote und Verwundete mußte er zurücklassen. Patrouillen folgten ihm und sicherten vor neuen Überraschungen. Sobald die französische Artillerie erfaßte, daß der Angriff mißlungen war, nahm sie die Jägerstellung wieder unter starkes Feuer. Nicht nur der Feind, auch das Bataillon blutete. Hauptmann Frhr. v. Grote, Feldwebel Speck und 4 Jäger fielen, Leutnant d. R. Lichtenberger und Fähnrich Redslob wurden tödlich verwundet, 15 Jäger waren verwundet, 1 Jäger vermißt. Leutnant Prinz zur Lippe übernahm die Führung der 2. Kompagnie. Nach dem Gefecht und in der Nässe und Kälte tut das abends eintreffende warme Essen doppelt gut. Zum erstenmal bringen die Feldküchen auch Feldpost und mit ihr die langersehnten Nachrichten aus der Heimat. Schanzen und Patrouillendienst beschließen die Nacht, bis stärker aufflammender Artilleriekampf den Morgen kündet. Gegen Mittag erstürmte das Garde-Grenadierregiment Nr. 4 Berry-au-Bac. Das Ärtilleriefeuer auf das Bataillon flaute darauf etwas ab, immerhin kostete der Tag 2 Gefallene und 9 Verwundete (darunter Leutnant d. R. Gonder). 1 Jäger wurde vermißt. [S. 24]

Den 19. September begann die schwere Artillerie des Feindes. Ihre Schüsse lagen aber zumeist vor der Stellung des Bataillons, die wie bisher von leichten Schrapnells und Granaten abgestreut wurde. Am Abend erlöste das 3. Bataillon Infanterieregiments 56 die Jäger aus Kälte und Nässe, nachdem sie noch 2 Tote und 6 Verwundete durch das Artilleriefeuer eingebüßt hatten. An der Straße Guignicourt– Pontavert, nicht weit von der vorderen Linie, wurde Biwak bezogen.

Noch vor Morgengrauen ging's weiter nach Guignicourt in Atarmquartiere. Aus dem Verbände des Detachements Weicke trat das Bataillon nun zum 7. Armeekorps, 14. Infanterie-Division, 27. Infanterie-Brigade. Die große Bagage wurde herangezogen, aber kaum hatte man begonnen, sich häuslich einzurichten, als der Aufbruchsbefehl eintraf, der das Bataillon der 79. Infanterie-Brigade zuteilte und nach Variscourt in Marsch gesetzt. Die Radfahrkompagnie hatte an diesem Tage in Iuvincourt durch Artilleriefeuer ins Dorf 3 Tote. Bei gutem Wetter und verhältnismäßiger Ruhe unter Dach und Fach konnte nun ein Teil der Schäden gebessert und behoben werden, die die Marsch- und Gefechtstage hinterlassen hatten. Ein Feldgottesdienft fand statt. Hammelfleisch war reichlich vorhanden. Brot wurde in Guignicourt selbst gebacken. Zwar gab es öftere Alarmbereitschaft, auch Bereitstellungen in Aguilcourt, sowie nächtlichen Patrouillendienst vor den Kampfstellungen, immerhin gaben aber die Tage die Möglichkeit zum Ausschlafen und zur Wiedererlangung der geistigen und körperlichen Spannkraft.


Recommended Citation: „Adolf Otto, Kriegstagebuch des Kurhessischen Jägerbataillons Nr. 11 aus Marburg, 1914-1918, Abschnitt 16: Verfolgung deustcher Truppen auf ihrem Rückzug“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/10-16> (aufgerufen am 07.05.2024)