Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Adolf Otto, Kriegstagebuch des Kurhessischen Jägerbataillons Nr. 11 aus Marburg, 1914-1918

Abschnitt 14: Rückzug deutscher Truppen nach der Marneschlacht

[20-21] Etwa 3 Kilometer nördlich von Sommesous wurde Front gemacht um gemeinsam mit Res.-Jäger-Bataillon 13 den Abmarsch der Division durch Vatry zu sichern. 1, und 3. Kompagnie gruben sich ein. Am Morgen des

10. September fuhr ein französischer Kraftwagen durch die Stellung der 3. Kompagnie und wurde – als er trotz Anruf weiterfuhr – durch Erschießen des Führers zum Halten gebracht. Seine Insassen, ein Hauptmann und ein Oberleutnant, die zum Stabe der 11. Division gehörten, wurden gefangen genommen; der von 39 Schüssen durchbohrte, aber noch betriebsfähige Kraftwagen war willkommene Beute. Nach Eintreffen der Meldung, daß die Nachhut der Division Vatry durchschritten habe, wurden zunächst die zugeteilte Batterie und die M. G. K aus St. Quentin in Marsch gesetzt, dann folgte das Bataillon. Beim Passieren einer Schlucht etwa 1 Kilometer östlich Bussy-Lettroe schlug plötzlich heftiges Gewehr-, Maschinengewehr- und Artillerieflankenfeuer in die Marschkolonne, das schwere Verluste verursachte. Das Bataillon entwickelte sich gegen den so überraschend auftretenden Feind und nahm das Feuergefecht auf. Da es als letzte deutsche Truppe fast völlig auf sich allein angewiesen war und der Gegner offenbar aus Kavallerie bestand, so bestand die Gefahr, abgeschnitten zu werden. Es gelang jedoch, den Gegner abzuschütteln und unter Mitnahme der transportfähigen Verwundeten geordnet über die Höhen südwestlich Bussy-Lettrée östlich der Straße Vatry–Chalons auf St. Quentin zurückzugehen, wo die M. G. K. zum Bataillon stieß. Artillerie des XII. R. K. griff in das Gefecht ein und erleichterte die Loslösung vom Feinde. Der Ueberfall hatte das Bataillon viel Blut gekostet – mehr [S. 21] als irgend eins der bisherigen Gefechte: Leutnant d. R. Schneidewin, 4 Oberjäger und 18 Jäger waren verwundet – von ihnen konnten 1 Oberjäger und 8 Jäger nicht abtransportiert werden und fielen in Gefangenschaft. 14 Jäger waren gefallen und 2 Oberjäger, sowie 39 Jäger wurden vermißt.

Bei Sarry wurde die Marne überschritten, nachdem die Gefechtsbagage herangezogen war. Gegen Abend ging's weiter durch Ehalons an finster und feindselig starrender Bevölkerung vorbei nach Dampierre. Es war der niederdrückende Weg des Rückzugs. Die Gedanken noch bei dem verlustreichen Gefecht des Nachmittags, übermüde von den Anstrengungen der letzten Tage und durchnäßt von heftigen Regenschauern mußte auf stark verstopfter Straße – teilweise in 3 Kolonnen nebeneinander – unter fortgesetzten Marschstockungen bis 1 Uhr Nachts marschiert werden. Dann kann endlich – nach fast 50 Kilometer Marschleistung – in St. Hilaire au Temple Ortsbiwak bezogen werden. Wenn auch nicht für lange. – Um 3 Uhr 30 heißt's wieder in den Regen hinaus und weiter nach Mourmelon le Grand, das um 9 Uhr erreicht wird. In den zum Lager von Chalons gehörenden Baracken gibt's hier immerhin Schutz vor dem Regen, dessen ungeachtet allerdings im Anschluß an Schützenregiment 108 und Infanterie-Regiment 189 ein Schützengraben ausgehoben werden muß. Die eintreffenden Lebensmittelwagen der großen Bagage geben aber wenigstens Gelegenheit, reichlichste Verpflegung auszugeben. Major Graf v. Soden und die Hauptleute Frhr. v. Grote und v. Ascheberg erhielten die ersten Eisernen Kreuze 2. Klasse. Die Hoffnung, daß die rückwärtige Bewegung in der nun erreichten befestigten Linie ihr Ende finden werde, erwies sich als trügerisch. Im Morgengrauen des 13. September marschierte die Division nach Aubérive ab, machte dort auf's neue Front und grub sich ein. Das Bataillon lag bei Sturm und Regen in ungemütlichem Biwak auf durchweichtem Boden am Nordostausgang des Ortes als Divisionsreserve.


Recommended Citation: „Adolf Otto, Kriegstagebuch des Kurhessischen Jägerbataillons Nr. 11 aus Marburg, 1914-1918, Abschnitt 14: Rückzug deutscher Truppen nach der Marneschlacht“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/10-14> (aufgerufen am 07.05.2024)