Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Franz Goldschmitt, Kriegserlebnisse evakuierter Metzer Bürger in Hessen, 1914-1915

Abschnitt 11: Abschnitt 11

Um Elsässer als Kostleute zu bekommen, wandten sich die meisten Casselaner an mich. „Herr Pfarrer, ich hätte gerne eine ältliche Frau, die wird es gut bei mir haben . — „Herr Pfarrer, könnten Sie mir ein starkes Mädchen versorgen, um mir im Haushalt etwas zu helfen". — „Herr Pfarrer, ich hätte gern eine Mutter mit zwei Kindern". — „Und ich einen Jungen, der etwas französisch kann. Mein Sohn ist auf dem Gymnasium". — „Ach! Herr Pfarrer, da haben Sie mir aber eine zugeschickt, die kann ja kein Wort deutsch, und deutsch will sie nicht sprechen... die kann ich nicht brauchen. Geben Sie mir doch eine andere". — „Seien Sie doch so gut, Herr Pfarrer, und geben Sie mir eine andere Frau. Die Sie mir gegeben haben, will nicht arbeiten und keine Kartoffeln essen. Sie sagt, bei ihnen würde man die Kartoffeln ganz anders machen". — „Aber! lieber, guter Herr Pfarrer, da haben Sie mir was Schönes geschickt. Die Kinder haben ja Läuse und Ausschlag. Da bedanke ich mich schön. Hier haben Sie sie wieder. Schauen Sie mal, Herr Pfarrer " Dann kamen unsere Leute.

„Aber, Herr Kaplan, da kann ich nicht bleiben. Das sind mir Leute! Das Essen kann ich nicht vertragen, Salzkartoffeln. .. und ein Brot... kommen Sie mal schauen, Herr Kaplan!" — „Herr Abbe, ich kann ja kein deutsch. Schicken Sie mich doch in eine Familie, wo man französisch spricht..." u. s. w., u. s. w. Abends war ich heiser und hatte den Kopf so voll, daß ich wahnsinnig zu werden glaubte. Zu Hause noch eine Flut von Briefen. Einige Beispiele:

Herr Pfarrer!
Bitte, senden Sie mir ein sauberes 16jähriges deutsches Mädchen, das alles machen kann. Bei mir hat's gut.

Herr Pfarrer!
Schicken Sie mir doch gefl. ein deutsches Mädchen. Ein französisches kann ich nicht brauchen, da ich nicht französisch sprechen kann.

Lieber Herr Kaplan!
Ich nehme die Feder zur Hand und schreibe Ihnen, daß ich bei den Leuten nicht bleiben kann. Das Essen ist schlecht. Man kriegt mal keinen Zucker im Kaffee. Lieber Herr Kaplan, helfen Sie mir, sonst gehen wir alle zu Grunde.

Herr Pfarrer!
Dürfte ich Sie mal einladen, selbst zu uns zu kommen, um sich zu überzeugen, wie gut es die Elsässer hier haben, und doch sind sie nicht zufrieden

Wie ein Alp fiel es mir vom Herzen, als sich nach und nach die Stadtkaserne leerte. Tagtäglich eilte ich auch mehreremals zum Philosophenweg. Auch hier hatte die Behörde alles trefflich organisiert. In einem Auskunftsbüro hatten einige Beamte viele und undankbare Aufgaben zu lösen. In der Küche arbeiteten die Damen mit bewunderungswertem Fleiß. Junge Casseler Mädchen nahmen sich der Metzer Kinder an, führten sie spazieren oder spielten mit ihnen. Um allen eine Freude zu machen, ist sogar einmal der Kaplan im Reigen mitherumgegangen und hat mitgesungen: Ringleringlereiß; In einer Woche waren alle Metzer ausquartiert.


Recommended Citation: „Franz Goldschmitt, Kriegserlebnisse evakuierter Metzer Bürger in Hessen, 1914-1915, Abschnitt 11: Abschnitt 11“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/99-11> (aufgerufen am 29.04.2024)