Hessian World War I Primary Sources

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↑ Wilhelm Egly, Kriegstagebuch eines Soldaten aus Friedberg, 1916-1917

Abschnitt 4: I. Faszination des Grauens

◀ [26-27] 15. April 1916.

Endlich haben wir den unheimlichen, dunklen Forgeswald hinter uns, aus dessen schwarzen Tiefen schwere Geschütze ihre Granaten in die gurgelnde, rauschende Nacht schlagen, während in weitem, hohem Bogen fernher das Eisen des Feindes hineinsaust und in tausendfach donnerndem Widerhall schwingend dahinrollt zwischen den kahlen, entwurzelten Stämmen. [S. 26] Wir überschreiten die starke deutsche Stellung, aus der in den letzten Februartagen der Sturm zerschmetternd und wuchtig losbrach.
Atemschöpfend halten wir an den von deutscher Artillerie vernichteten, alten französischen Gräben und schauen und hören ein Bild und eine Melodie unvergeßlicher Schönheit des Krieges. Ueber der Mühle im Tal des Forgesbaches, das in schwärzester Finsternis vor uns dahinzieht, zucken die Blitze der Schrapnelle und sprühen die Flammen der Granaten in wogendem Tanz. In langer Kette schweben über den Kuppen des Toten Mannes rote und grüne und weißglühende Magnesiumleuchtkugeln, und in ihrem Schein tauchen gespenstisch die Schattenrisse des Berges und die schwarzen Stangen des Rabenwaldes auf, verschwinden sekundenlang, tauchen wieder auf in unwahrscheinlichen Linien und Formen — bald heller, bald dunkler, in unruhvollem Wechsel. Ein chaotisches Wogen und Branden von Licht und Nacht, Feuer und Blitzen und Donner, Gurgeln und Gellen und unendlichem Brausen.
Nicht länger dürfen wir zögern. Hindurch durch den wilden Feuerreigen, der doch kein Ende nimmt?
Die Mühle! sagt einer mit verhaltener Stimme. Und über die Körper der andern rieseln kalte Schauer.
Schattenhaft huschen stumme Gestalten an uns vorüber.
Eine zerbrochene Bahre hängt zur Hälfte in einem Granatloch, darunter ein Schwerverwundeter. Daneben ein abgerissener Arm mit der Binde des Genfer Kreuzes, und dort in den Trichtern liegen die toten Träger umher. Vier Menschen für einen Verwundeten gefallen. Andere Krankenträger kommen von der Höhe herab. [S. 27] Das Herz klopft zum Zerspringen. Und doch schleppen sie langsam und vorsichtig ihre schwere Last, als ob sie durch den stillen Flur eines Lazaretts gingen und nicht durch Nacht und Grauen! Sie setzen ab, ziehen den Schwerverwundeten aus dem Schlamm unter den zerschossenen Stangen hervor und nehmen ihn auf. Zwei menschliche Körper auf schmaler Bahn! Und Verwundete sind schwer, unsäglich schwer! Aber aus der Hölle der Mühle tragen sie beide hinweg, lassen einen zurück in einem sicheren Unterstand der alten deutschen Stellung am Südrand des Forgeswaldes, um ihn später abzuholen, den andern aber bringen sie zum Hauptverbandplatz. Nacht für Nacht müßt ihr den stundenweiten Weg zurücklegen, ihr treuen Träger, und wißt: Es ist der Weg des Todes, den wir treten. —
Mit jedem Schritt wird meine Seele stiller.
Unser aller Schicksal ruht in der Hand eines Höhern, der bei uns ist, ob wir auch wandern im finstern Tal. . .
Stöhnen und Wimmern schlägt von irgendwo her an das Ohr.

Mit geweiteten, stumpfen Augen starrt das bleiche Antlitz einer bis zum Hals im Morast versunkenen Leiche in die magisch fahle, dämmernde Nacht. Dort hängt als letzter Rest eines menschlichen Körpers ein gestiefeltes Bein aus einem verschütteten Trichter.
Wen die Granaten nicht hinunterwühlen unter die Erde, den frißt der Schlamm. . . .
Einer stürzt über irgend ein Hindernis und muß umherkriechend mühselig die verlorenen Sachen zusammensuchen. Das Vorwärtsgehen stockt, der Zug muß halten. Viele warten still und geduldig, manche aber fluchen.
Als ob der Fluch Befreiung und Erlösung sei. . .[...] ▶