Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Wilhelm Egly, Kriegstagebuch eines Soldaten aus Friedberg, 1916-1917

Abschnitt 1: I. Dritter Aufbruch in den Krieg

[19-20] [S. 19] Und zum dritten Mal fuhr ich nach Frankreich hinein. Nach Flandern.
Aber nach wenigen Tagen schon trugen uns lange Züge durch eine dunkle Februarnacht hindurch über Cambrai nach Bapaume. Im abgeblendeten Schein der Bogenlampen glitzerten die vereisten Rampen und Straßen am Bahnhof. —
Die Truppen schanzten an rückwärtigen Stellungen. Man ahnte wohl die Sommeschlacht.
Eisige Schneestürme tosten über das flache Hügelland.
Zehn Tage gingen dahin, am Morgen des elften Tages aber wurden wir verladen und kamen zu unserem Erstaunen und unserer Freude — zurück in die alten Quartiere.
Flandern! Es ist von Menschen bewohnt, die eine andere Sprache sprechen. Und doch scheint es uns so vertraut, als ob es einen Teil unserer Kindheit gesehen hätte, so heimatlich.

11. April 1916.
Zwischen endlosen Munitionskolonnen schieben wir uns langsam vorwärts, vorüber an alten und neuen Gräbern, vorbei an toten und verwundeten Menschen und Pferden, zerschossenen und zerbrochenen Wagen. [S. 20] In Gercourt werden Befehle erwartet.
Wir legen uns auf die Steinfließen der geräumten, halb zerschossenen Kirche und decken die frierenden Glieder mit zerfetzten Altartüchern und schmutzigen Priestergewändern zu. Was die bittere Not gebietet, ist keine Entweihung.
Eine Granate zerreißt ein Pferd vor der Kirche und schleudert den Fahrer todwund aus dem Sattel. —
Wir planschen weiter durch den Schlamm nach Drillancourt. Wie Bretter auf sturmbewegten Wellen schaukeln die Wagen durch unzählige Trichter.
Wieder müssen wir auf Befehle warten. Zwischen den Ruinen des Dorfes.
Dicht vor uns liegt schwarz und starr der Forgeswald. Fern und nah in weiter Runde sind aberhundert Geschütze an der Arbeit.
Und immerzu schlägt uns der pfeifende Wind den durchdringenden Rieselregen entgegen, der über die Haut hinunter in die Stiefel rinnt. Wir suchen Schutz und legen uns hinter elende Mauerreste.

Aber da tastet der Frost mit eisigen Schauern über Leib und Rücken.
Drei Tote liegen in einer überdachten Ecke. Zwei Franzosen, ein Deutscher in der Mitte. Die Gasmasken hängen noch vor den Gesichtern. Ratten huschen um und über die Leichen.
Wir legen uns dazu.
Eine klapprig-kalte Nacht.


Persons: Egly, Wilhelm
Places: Bapaume · Cambrai · Drillancourt · Frankreich · Friedberg · Gercourt
Keywords: Frost · Gasmasken · Gefallene · Granaten · Heimat · Kirchenbauten · Kulturkontakte · Landschaft · Ruinen · Tagebücher · Witterung
Recommended Citation: „Wilhelm Egly, Kriegstagebuch eines Soldaten aus Friedberg, 1916-1917, Abschnitt 1: I. Dritter Aufbruch in den Krieg“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/65-1> (aufgerufen am 18.04.2024)