Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Fritz Sames, Das Landwehr-Infanterie-Regiment 81 in den Vogesen, 1914

Abschnitt 5: Zugfahrt ins Elsaß

[5-7] 2. Kapitel

Die erste Kriegsfahrt. — Im Elsaß.

Ein Trompetensignal! Klumpenartig schiebt sich die graue Masse, die harrend am Zuge entlang gestanden hatte, in die Abteile. Drinnen Drängen und Fluchen, die Türen schlagen zu, und durch die Fenster strecken sich die Pickelhauben hervor, zwei, drei zugleich. Auf den Trittbrettern stehen Helferinnen und reichen die letzten Gaben der Liebe hinauf. Dann ein Ruck der anziehenden Lokomotive, und zurück weicht der Boden der Heimat. Die Rufe des Wiedersehn's verhallen im Geräusch der rollenden Räder.

Nach Süden biegt der Zug. Jetzt erst beruhigen sich die Zweifler, daß das Regiment nicht gegen Rußland marschiere. Langsam, vorsichtig geht die nächtliche Fahrt. Denn bis weit ins Vaterland hinein tastet die tückische Hand des Feindes.

Beim grauenden Morgen halten die Züge in Schwetzingen. Der treuherzige Laut Badener Frauenstimmen dringt zu den Männern, die den Schlaf ihrer ersten Kriegsnacht von sich schütteln. Das rote Kreuz naht ihnen hier in freundlicher Gestalt. Noch reicht es ihnen hold und reichlich seine Gaben dar; noch strecken sich ihm die Hände frisch entgegen. Labt Euch, schöpft aus dem Vollen, ihr Krieger. Es kommt die Zeit der ringenden Not, wo die wunden Glieder sich nicht heben können zum Dank um Hilfe, die lechzende Lippe versagt, und das rote Kreuz in harter Gestalt sich über manchen von Euch beugt, und es nicht um Labung, wo es um's Leben geht. . . .

Mit zunehmendem Tag rollten die Züge weiter nach Süden. Man sah jetzt, welche Bewegung auf den Schienensträngen herrschte. Transportzüge, vollgestopft mit Mannschaften, kamen entgegen. Ein Rufen ging [S. 6] hinüber und herüber: „Wohin die Fahrt?" Die Antwort, vielmehr die kriegerischen Wünsche waren oft deutlich und drastisch mit Kreide auf die Waggonwände geschrieben: „Nach Paris!" lautete eine der Parolen, „Nach Petersburg!" stand auf den Wagen der Mannheimer 110er Landwehr, denen man in Karlsruhe begegnete. Auf anderen Wänden dieser rollenden Wagenburgen machte sich der Verdruß über die Feinde in wilden Zeichnungen Luft: Ein Galgen mit Zugrolle — oben baumelt ein Franzose, unten am Strick zieht ein Deutscher. Die rasch aufschießende Kriegspoesie fand ebenfalls auf diesen Wenden ihren Niederschlag:

„Jeder Schuß ein Ruff',

Jeder Stoß ein Franzos'

Jeder Tritt ein Britt'."

Auf dem Rastatter Bahnhof stand ein langer D-Zug fahrtbereit. Die Seitenwände trugen das rote Kreuz in weißem Felde. Schwestern in hellen Häubchen eilten drinnen geschäftig umher und ordneten weißgedeckte Lagerstätten. Hinter Rastatt bogen die Lokomotiven nach Westen. Sie näherten sich dem Rhein. Ein neuer Transport kreuzte den Frankfurter Zug. Aus den Wagenfenstern lauerten blonde Jungens mit breiten Gesichtern und schwenkten die zweiggeschmückten Helme. „Warnung! Achtung, Westfalen!!" stand auf ihren Abteilen zu lesen.

In der Mittagssonne glitzerte vorwärts der Schienen ein Silberband — der Rhein! Eine Bewegung ging durch die Wägen; die Köpfe fuhren heraus. Mit großer Begeisterung erscholl der zu neuer Bedeutung erwachte Schlachtgesang:

„Es braust ein Ruf wie Donnerhall

Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein,

Wir Alle wollen Hüter sein."

Gewaltig dröhnte das Lied zum Elsaß hinüber, während sich der Zug langsam über die Brücke schob. Die entfachte Begeisterung sprang von Wagen zu Wagen, und mächtige Gesänge drangen hervor.

Ein Landsturmmann mit langem Graubart, die Schußwaffe mit dem aufgepflanzten Seitengewehr in der Faust, stand am Kopfe der Brücke, wo sich ihr Bogen auf Elsaß's Boden schlägt und richtete das verwitterte Gesicht dem Zuge nach, dessen grollende Lieder in der Ferne verhallten. So hatte er vom ersten Tage der Mobilmachung an Bataillon um Bataillon aus Deutschlands Innerem heranrollen sehen. Wie stets sich erneuernde Meereswellen, so brandete es vom deutschen Ufer herüber in's Reichsland, Tag um Tag, Nacht um Nacht, mit immer dem gleichen Gesang von Donnerhall und Wogenprall. Nur hatten die Stimmen der Kriegsfahrer, die in den ersten Tagen übersetzten, Heller geklungen, wie schmetternder

[S. 7] Trompetenton. Die Lieder des Landwehrvolks, das hinter jenen herrückte, erschollen hart und rauh. — Fahrt hin ihr Hüter des Rheins zu des stolzen Frankreichs Verderben. Wir Alten bleiben zurück und schützen euere Brücken, euere Schienenwege, damit der lebendige Strom ergänzender Kraft sich ungehemmt euch nachergieße! —

In Drusenheim hielten die Züge der Bataillone. In einer Bretterhalle standen Tische und Bänke gerichtet. In zweistündlichen Zwischenräumen setzten sich dreimal an tausend Mann zum schmackhaften Mahle nieder. Nach 50 Minuten saß Alles wohlgesättigt wieder im Zuge. Noch eine Stunde Fahrt, da tauchte im Silbergrau der Ferne über den Weiden und Waldkuppen des Elsaßlandes eine schlanke Spitze auf, das Straßburger Münster. Jeder war froh, daß die lange Fahrt zu Ende ging. Aber es dauerte noch eine weitere Stunde, bis zum Aussteigen geblasen wurde. Man befand sich in Schiltigheim, einem Vorort von Straßburg. Unter Rasseln und Poltern entleerten sich die Wagen.


Persons: Sames, Fritz
Places: Baden · Deutschland · Drusenheim · Frankfurt · Frankreich · Karlsruhe · Mannheim · Paris · Petersburg · Rastatt · Rußland · Schiltigheim · Straßburg
Keywords: Transport · Landwehr-Infanterie-Regiment 81 · Lieder · Liebesgaben · Lokomotive · Militärmusik · Pickelhauben · Rotes Kreuz · Verpflegung
Recommended Citation: „Fritz Sames, Das Landwehr-Infanterie-Regiment 81 in den Vogesen, 1914, Abschnitt 5: Zugfahrt ins Elsaß“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/47-5> (aufgerufen am 27.04.2024)