Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Die Schulchronik von Kruspis, 1914-1920

Abschnitt 12: Ferienkindern, Teuerung von Nahrungs- und Bedarfsartikeln

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Als auch in diesem Frühjahr Nachfrage gehalten wurde, ob Eltern nicht wieder sich bereit erklärten, Ferienkinder aufzunehmen, meldete sich niemand. Sie begründeten ihr Verhalten damit, sie hätten schlechte Erfahrungen mit den gehabten Kindern gemacht. Infolge eines trockenen Nachsommers ließ die Entwicklung des Hafers viel zu wünschen übrig, während Roggen-, Weizen- und auch Kartoffelernte ganz gut ausfielen. Besonders zahlreich kamen in diesem Herbst die Hamsterer aus allen Himmelsgegenden herbei, um Getreide – hauptsächlich Weizen – Mehl, Obst und Kartoffeln einzukaufen. Obschon die von unserer Reichsgetreidestelle festgesetzten Höchstpreise dieses Jahr recht anständige waren - Roggen 75 M, Weizen 86 M, Hafer 78 M und Kartoffeln 30 M pro Zentner - verlangten vielfach unsere Bauern weit mehr. Für den Zentner Weizen forderte man 150-200, ja sogar 300 M und für das Pfund Weizenmehl 4 M und darüber. „Je mehr er hat, je mehr er will." Entsprechend diesen stiegen auch die Preise auf allen anderen Gebieten. Die Viehpreise z. B. wurden fast unglaublich. Für gar nicht besonders schöne Pferde zahlte man 10 000, 15 000 bis 20 000 Mark, für 1 Ochsen 8 – 10 000 M, für die Kuh bis 8000 M. Der Zentner von fetten Schweinen, die ja freilich sehr rar waren, wurde mit 1200 – 1500 M bezahlt. Da konnte ja nicht ausbleiben, daß das Pfündchen Fleisch – Rindfleisch auf 12 M und Schweinefleisch auf 18 M kommen mußten. Schinken konnten wir uns nur in den Schaufenstern mancher Metzgerläden zu Hersfeld ansehen, aber nicht kaufen, trotz der ganz geheueren Gehalts-Aufbesserung im letzten Jahre. Für Tierfelle jeder Art, besonders für Pelze, wurde oft der 50fache Betrag von dem einstigen Friedenspreis geboten. Die Bauern unserer 3 Dörfchen lieferten allein durch die Darlehenskasse im Laufe dieses Herbstes 8 Waggon Roggen und 7 Waggon Kartoffeln ab. Wieviel noch an Handelsleute und Hamsterer abgegeben wurde, entgeht meiner Beurteilung. Der Weizen ging ja ausschließlich in die Hände der Hamsterer über. – Riesige Preiserhöhungen machten sich auch in dem Schnittwarenhandel geltend. Für 1 m Stoff zu Herrenanzügen zahlte man 150, 200, 250 M und mehr, für 1 m Leinen wurden 20 – 25 M gefordert. Wehe dem glücklichen Vater, der jetzt für ein paar Töchter die Aussteuer zu beschaffen hat. Da die Preise für das Holz – Brenn- und Nutzholz – sehr in die Höhe gingen, verlangten auch die Schreiner und Möbelhändler für ihre Waren unglaubliche Preise. Eine einfache Schlafzimmereinrichtung ist nicht unter 7000 - 9000 M zu haben. – Wo und wie wird es enden, wenn nicht bald auf allen Gebieten Preisabbau stattfindet.


Places: Kruspis
Keywords: Kinder · Preissteigerung
Recommended Citation: „Die Schulchronik von Kruspis, 1914-1920, Abschnitt 12: Ferienkindern, Teuerung von Nahrungs- und Bedarfsartikeln“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/24-12> (aufgerufen am 29.04.2024)