Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Wilhelm Fischmann, Kriegserlebnisse eines Kasselaners, 1915

Abschnitt 9: Feldgottesdienst an Ostersonntag 1915

[140-141]

G.C. Heute war ein arbeitsreicher und doch solch ein feierlicher Ostertag. Im Garten kreischte die Säge und surrte die Lokomobile, die Zimmerleute schwangen wie alltäglich ihre Beile. Ich habe den Auftrag, einen 20 m tiefen Brunnen zu bauen, sitze aber augenblicklich noch an meiner gestrigen Ausmessung. Heute herrscht fast Waffenstillstand. Nur ganz wenige Schüsse fallen, man geht heute friedlicheren Beschäftigungen nach. Vormittags war Gottesdienst der Katholiken, nachmittags zogen wir zum Kirchlein im andern Eck unseres Gartens. Um ½ 5 schallte das „Lobe den Herren", von einer Infanteriekapelle gespielt, zu uns herüber. Da hielt uns nichts mehr. Ich warf meine Arbeit hin und stürmte herüber, mir nach liefen Oberleutnant und Leutnant, die Beile flogen aus den Händen, die Kreissäge verstummte, voll Lehm und Schmutz und ungewaschen und ungekämmt liefen wir hin.
Ich mußte heute an jenen feierlichen Gottesdienst des Kirchenrats R. in Ingolstadt denken, den er hielt, als sein zweiter Sohn im Sommer auf blühender Flur gefallen war. Da empfanden wir so ganz die Weihe dieser großen erhebenden Zeit. Aber ungleich mehr hat mich der heutige Tag ergriffen, ich habe wie so viele geweint wie ein Kind, mein Herz ist weich geworden. Wie schön unser Christentum ist und was für eine feste Stütze es uns ist, das merkt man erst, wenn man täglich den Gefahren ausgesetzt ist. Wir sangen das alte Lied der Kurfürstin Henriette von Brandenburg1: „Jesus meine Zuversicht". Weihevoll klang die Musik durch die unangetastete schmucke Kirche. Golden leuchteten die Kerzen in der Dämmerung, und golden glitzerte der kostbare Kristalleuchter.
Der Pfarrer hat sein Eisernes Kreuz, das seine Brust schmückt, redlich verdient, er versteht es, zu erheben und fortzureißen und die Schwerfälligsten zu packen.
„Das Gefühl des Gewissens und das Streben nach Wahrheit, Liebe und Treue schlummert unbewußt im Menschen, hierauf gründet sich die Liebe der Kinder zu den Eltern, die Liebe und Treue des Mannes zum Weibe. Und glauben wir noch an Liebe und Treue edler Menschen, so können wir auch dem Zeugnis der Apostel glauben, wir können ihr Osterzeugnis glauben, denn es waren Menschen, die für ihre Überzeugung und die Wahrheit ihr Leben selbst ließen."
Ich bin für schwere Aufgaben morgen nacht ausgesucht worden und heute abend denke ich daran, daß ich draußen fallen kann. Ich danke diesem Pfarrer viel, er hat mir fröhliche und zuversichtliche Ostern gegeben.
Unsere Kirche war gedrängt voll. Feierlich und eindringlich klang das Niederländische Dankgebet durch den Chor des Gotteshauses, und dann bin ich mit vielen andern zum heiligen Abendmahl geschritten.
Wundert Ihr Euch, daß ich so schreibe? Hier draußen wird auch der rauheste Krieger fromm und gottesfürchtig. Der Krieg verroht nicht, nein, nimmermehr. Er begeistert und führt die Menschen zu Gott. Und das ist die schöne Seite des Krieges.
Leutnant Sch. war heute abend lange bei mir. Mit ihm W. und B. Morgen abend sind wir drei mit Leutnant Sch. zusammen bestimmt worden, die Drahthindernisse vor unserer Front zu prüfen und auf Befehl der Division neu auszubauen, 16 Pioniere meldeten sich freiwillig als Helfer. Aber da kommt schon ein neuerer Befehl: Erkundung einer feindlichen Sappe gegen unsere Stellung durch Pionieroffiziere. Schon in der letzten Nacht waren Franzosen au dieser Sappe gegen unsere Drahthindernisse vorgekrochen, um sie zu zerstören. Drei von diesen lagen heute morgen tot vor unserer Front. —
2. Ostertag, 5. April 1915, Gott sei Dank, daß Tag ist. Unsere leichten Geschütze, Feldhaubitzen und 21 cm-Mörser, haben die ganze Nacht gedonnert.
[S. 141] Solcher Tage werden wir in diesem Kriege nicht viele erleben.


  1. Louise Henriette von Brandenburg (1627-1667), geb. von Oranien, Frau des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg.

Persons: Fischmann, Wilhelm · Luise Henriette, Brandenburg, Kurfürstin · Friedrich Wilhelm, Brandenburg, Kurfürst
Places: Ingolstadt
Keywords: Zensur · Lokomobile · Brunnenbau · Feldgottesdienste · Militärmusik · Oberleutnante · Leutnante · Jesus meine Zuversicht · Kirchenlieder · Eisernes Kreuz · Feldgeistliche · Niederländisches Dankgebet · Abendmahl · Drahthindernisse · Pioniere · Sappen · Franzosen · Geschütze · Haubitzen · Mörser · Frontabschnitt: Somme · Westfront
Recommended Citation: „Wilhelm Fischmann, Kriegserlebnisse eines Kasselaners, 1915, Abschnitt 9: Feldgottesdienst an Ostersonntag 1915“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/164-9> (aufgerufen am 20.04.2024)