Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Wilhelm Fischmann, Kriegserlebnisse eines Kasselaners, 1915

Abschnitt 12: Ruhigere Tage im Frontabschnitt

[185-186]

Heute am 8. 4. [1915] habe ich allein Ruhetag. Ich habe mir Blumen im Garten gepflückt und einen warmen Frühlingstag genossen. Beim Marketender konnte ich mir eingemachte Pflaumen, Keks, kondensierte Milch, Schokolade, Bonbons usw. erstehen. Jetzt werde ich erst einmal ein paar Ruhetage gemütlich verbringen.
Wollt Ihr auch noch wissen, wie wir verpflegt werden? Heute gab's morgens guten Kaffee und Brot, mittags Erbsensuppe mit Pökelrippchen, nachmittags guten dicken Kakao, abends frische Blutwurst mit Brot und Kaffee. Außerdem konnten wir uns heute abend wie fast täglich echtes Pilsener Urquell kaufen, 1 Liter zu 30 Pf. Wir Pioniere werden anständig verpflegt.

9. 4. 1915. Bei unserer gestrigen Nachtarbeit, von der ich befreit war, sind zwei Mann schwer verwundet und einer ist gefallen. Sie sind von der Infanterie, die uns als Hilfe beigegeben war.
Desgleichen sagt mir Leutnant Sch., daß unser Offizierstellvertreter M. mit 14 Mann gefallen ist.
Den Vormittag benutzte ich zu einem gemütlichen Spaziergang bei blauem Himmel und lachendem Sonnenschein nach unserm Schützengraben. Als ich bei den Trümmern des früheren Dorfes V. ankam, hatte ich Gelegenheit, die Arbeit unserer schweren Feldhaubitzen zu sehen. 50 dröhnende Grüße schickten sie übers Dorf weg. Als ich in unserm Schützengraben ankam, erfuhr ich, daß sie tadellos im feindlichen Schützengraben gesessen hätten.
Ich habe bis ½ 1 Uhr dort aufgemessen, dann habe ich mich auf eine Treppe gegenüber dem eleganten Kompagnieführer-Unterstand, der am Eingang in Erdnischen mit blühenden Primeln in geschmackvollen, glasierten Töpfen geschmückt ist, hingesetzt und mein Mittagbrot, bestehend aus Speck, Brot, Keks und Schokolade, verzehrt.
Um 2 Uhr war ich daheim. Ich wurde von unserm Oberleutnant zum Kaffee eingeladen, und dabei erzählte er mir, daß eine neue Patrouille unsere wichtigen Beobachtungen bei der feindlichen Sappe bestätigt habe. — Jetzt arbeiten wir nun Tag und Nacht, um dem Feind mit der Sprengung zuvorzukommen.
Nachmittags habe ich gezeichnet für unser Kriegstagebuch.

10. 4. 15. Vormittags habe ich im Schützengraben gelegen und die feindliche Sappe durch den Laufgrabenspiegel beobachtet. Es wird seit 4 Tagen hinter dem Loche vom frühen Morgen bis zum Abend Erde ausgeworfen, ein Zeichen mehr, daß der Feind nach Kräften miniert. Wir arbeiten dem aber auch schon entgegen. Tag und Nacht sitzen unsere Leute im Stollen oder Schacht, um die Sprengung abzufangen. Ob's noch gelingen wird? Als ich daheim ankam, wartete meiner eine neue Aufgabe. Ich mußte auf Befehl der Division sofort wieder in Stellung gehen und die von uns vorgestern ausgebaute neue Front aufnehmen. — Das war also mein Ruhetag, über 15 Stunden Dienst und über 6 Stunden davon allein Fußweg im Laufgraben, der zum Teil halbmeterhoch mit Schokoladenschlamm angefüllt war. Ich bin abends um ½ 11 Uhr heim. Der Rückweg war unheimlich, so ganz allein in weiter Flur, zumal ziemlich lebhaft geschossen wurde. Über mich weg surrten die Granaten und Infanteriekügelchen, ich war froh, als ich im Schlosse ankam und dem Oberleutnant Meldung machen konnte.

11. 4. 15. Heute ist ein einzig schöner, warmer Frühlings-Sonntag. Ich habe mir fest vorgenommen, heute zu faulenzen, und das scheint mir ja auch zu gelingen. Große Generalreinigung habe ich vorgenommen, zwei Stunden lang mein Jakett [S. 186] mit Bürste, Nadel und Zwirn bearbeitet und mich selbst einmal wieder gesäubert. Ich will nicht wie die andern mir allerlei kleine Tierchen der verschiedensten Sorten holen.
In unserm großen Schloßgarten blühen die bunten Primeln und Veilchen, und die Kirschen- und Birnbäume tragen ihre ersten weißen Blüten. Jetzt wird's wirklicher Frühling, da werden auch für uns draußen schönere Tage kommen.


Persons: Fischmann, Wilhelm
Keywords: Frontabschnitt: Somme · Westfront · Marketender · Truppenverpflegung · Bier · Pilsener Urquell · Pioniere · Verwundete · Gefallene · Infanterie · Leutnante · Offizierstellvertreter · Schützengräben · Feldhaubitzen · Vermessungsarbeiten · Patrouillen · Sappen · Minierungsarbeiten · Kriegstagebücher · Laufgräben · Granaten · Oberleutnante · Ungeziefer
Recommended Citation: „Wilhelm Fischmann, Kriegserlebnisse eines Kasselaners, 1915, Abschnitt 12: Ruhigere Tage im Frontabschnitt“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/164-12> (aufgerufen am 03.05.2024)