Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Wilhelm Fischmann, Kriegserlebnisse eines Kasselaners, 1915

Abschnitt 8: Leben im Schützengraben an der Somme

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3. April 1915. Ostersonnabend. — Gestern abend haben wir mit unserm Nachtlager noch ein Theater erlebt. Wir konnten es vor Mäusen nicht mehr aushalten und beschlossen kurzerhand, uns ein Bett anzufertigen. Ein geräumiger Kleiderschrank war bald gefunden, der wurde umgelegt, die Türen herausgenommen und mit Stroh gefüllt, — aber heute sind schon wieder gleichviel im Kleiderschrank. Heute abend wollen wir das „Bett" mitten im Zimmer aufstellen, Klötze unter die Ecken setzen und neu füllen. Dann lassen sie uns hoffentlich in Ruhe.
Ein bewölkter, regnerischer Tag ist heute. Ich bin um 5 Uhr raus, um meine schwierige Aufgabe zu lösen. In den Laufgräben kamen mir in endlosen Reihen die aus den Schützengräben zurückkehrenden Soldaten entgegen, die in der Nacht als Verstärkung herangeholt worden waren, da der Feind die ganze Nacht lebhaftes Infanterie- und Artilleriefeuer unterhielt. Auch unser Divisionär, General R.1, war mit seinem Stabe schon draußen. Ich meldete ihm meinen Befehl, er sah mir darauf meine Karten nach.
Da ich mich in den Laufgräben nicht orientieren konnte, habe ich die Stellungen vom freien Felde aus aufgenommen. Durch meine eigene Unvorsichtigkeit, ich hatte mich in der Gegend geirrt, bekam ich an der Baumgruppe an der Straße nach Foucaucourt2 lebhaftes Infanteriefeuer. Die Kugeln schlugen dicht um mich ein. Ich warf mich zu Boden, kroch auf dem Bauche in die nur ¾ m tiefe zweite Stellung und blieb hier in guter Deckung liegen. Ein paar Infanteriekugeln habe ich mitgebracht. Einen halben Kilometer des Rückweges habe ich auf den Knien rutschend zurückgelegt. Hierbei kam ich an den Kadavern zweier scheußlich aussehender Pferde vorbei, die hier nicht verscharrt werden können.
Um ½ 11 Uhr ist der Radfahrer mit meiner Aufnahme bereits zur Division. Wegen meiner ziemlich sorgfältigen Ausmessung bekam ich vom Oberleutnant ein Lob, dienstfrei für den Nachmittag und die Nacht und Verpflegung aus der Offiziersküche. Eine halbe Kiste guter Zigarren wurde mir auch geliefert, da habe ich's wieder einmal recht gut.
Der Marketender ist da! Ich erstehe mir für ganze 3 Mark eine 2-Pfunddose Erdbeeren, 2 gute Tafeln Schokolade, 2 Pakete Keks und 1 Paketchen Haferkakao. Das ist billiger als daheim. — Gestern abend gab's außerdem bayrisch Bier (aus der staatlichen Bierbrauerei in Péronne) und Erbsensuppe mit frischen Blut- und Leberwürsten, man hat wahrlich keinen Grund, über die wirklich tadellose Verpflegung zu schimpfen.
Vielleicht interessiert es Euch noch, daß im Unterstock des Schlosses Wanzen und Kleiderläuse sind. Der Oberleutnant will in einen Unterstand ziehen (aber da gibt's Ratten).


  1. Vermutlich gehörte Wilhelm Fischmanns Einheit zur 11. Bayerischen Infanterie-Division, die in dieser Zeit bei Péronne lag. Kommandeur der Division war Generalleutnant Rudolf Rösch. Siehe Wikipedia Artikel 10. Königlich Bayerische Infanterie-Division
  2. Heute Foucaucourt-en-Santerre, etwa 15 km südwestlich von Péronne.

Persons: Fischmann, Wilhelm · Rösch, Rudolf
Places: Foucaucourt-en-Santerre · Péronne
Keywords: Mäuseplage · Schützengräben · Infanteriefeuer · Artilleriefeuer · Vermessungsarbeiten · 11. Königlich Bayerische Infanterie-Division · Kadaver · Pferde · Oberleutnante · Zigarren · Marketender · Erdbeeren · Schokolade · Kekse · Haferkakao · Bier · Truppenverpflegung · Wanzen · Läuse · Ungeziefer · Westfront · Frontabschnitt: Somme
Recommended Citation: „Wilhelm Fischmann, Kriegserlebnisse eines Kasselaners, 1915, Abschnitt 8: Leben im Schützengraben an der Somme“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/164-8> (aufgerufen am 25.04.2024)