Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Wilhelm Fischmann, Kriegserlebnisse eines Kasselaners, 1915

Abschnitt 34: Ausbildung am Mörser, Bau von Drahthindernissen

[233-234]
13.6.15. Den Tag habe ich wie so oft auf dem Hügel hinterm Schloß unter den alten Bäumen verträumt. Nachts hatte ich wieder Transporttrupp von V. aus und mußte diesmal auf einer schmalen Bank vorn in einem zugigen Unterstande bleiben, da eine tolle Schießerei nach V. hinein mir eine Rückkehr unmöglich machte. Leider habe ich mich hier erkältet. Mit 2 Landwehrmännern des letzten Jahrgangs lag ich zusammen. Beide waren überzeugte „Genossen", als ich aber ihre Meinung über den Krieg und über den Kaiser, den sie als Sozi der Tat bezeichneten, hörte, da mußte ich herzhaft lachen. Glückliches Deutschland. Beide waren verheiratet, hatten große Kinder, waren seit dem 8. August im Feld, aber immer noch lustig und seit Italiens Treubruch wieder recht kampffroh. — Die Nacht brachte uns einen Verwundeten im Hindernistrupp.

14. und 15.6.15. Beide Tage verlaufen für uns alle in der alten Regelmäßigkeit. 4 Eiserne Kreuze werden der Kompagnie verliehen, 3 Offiziere und ein uns vom Pionierregiment überwiesener Gefreiter erhalten die Auszeichnung beim Divisionär ausgehändigt. Die Nacht verlief recht unruhig. Wir beschossen die französische Stellung stark mit Artillerie, sie dafür wieder unsere Laufgräben.
Wir 5 Offiziers-Aspiranten machen uns reisefertig, schicken unsere überflüssigen Sachen heim und warten sehnsüchtig auf den Tag, der uns heimführt.

16.6.15. Ich werde in M. mit Abordnungen anderer Pionier-Kompagnien am Erdmörser ausgebildet. Am Abend beerdigten wir unsern lieben Ch. auf dem hiesigen Friedhof.

17.6.15. Unsere Ausbildung in den Nahkampfmitteln wird fortgesetzt. Wir werden am neuen Minenwerfer ausgebildet.
Am Abend fand eine gewaltsame Erkundung des feindlichen Grabens statt. 16 Mann Infanterie und unsere Pioniere Br. und B. sollten sie ausführen. Leider war sie ohne Erfolg, die Leute wurden entdeckt, die Franzosen alarmierten und 6 Mann wurden schwerverwundet und 3 Mann fielen. Durch einige Handgranaten brachte unser Br. Verwirrung in die Reihen des Gegners, und diese benutzte er, um ungeachtet des feindlichen Feuers erst den schwerverwundeten Offizier-Stellvertreter, dann einen Toten und dann noch zwei verwundete Infanteristen vom feindlichen Graben wegzuschleppen. Hinterher holte er noch sämtliche Gewehre. B. brachte einen schwerverwundeten Infanteristen herein und, durch unsere beiden Leute angespornt, holte die wackere Infanterie nun auch [S. 334] noch die wenigen draußen liegenden Leute. Aber draußen geblieben ist nichts! Das machen uns die Franzmänner nicht nach.

18.6.15. Ich habe abends 8 Erdmörser nach Graben H. zu transportieren.

19.6.15. Als ich von meinen Transporten aus V. heimkehre, finde ich auf meinem Tisch frohe Nachricht. Ich bin zum Vizefeldwebel befördert worden. Die Insignien fehlen mir zwar noch vollständig, meine Abzeichen beschränken sich, auf Knöpfe und Offizierskokarden, ja Kl. und K. müssen sich letztere sogar an ihre schirmlose Mannschaftsmütze anheften. Jetzt wird auch hoffentlich für uns „Überzählige" bald die Stunde der Heimkehr kommen.

20.6.15. Transporte des Nachts nach P.1

21.6.15. Ich muß den Drahthindernistrupp führen. Bei strömendem Regen geht's durch die pechschwarze Nacht den Laufgraben entlang. Meistens watet man bis an die Knie im schlammigen Wasser, ab und zu geht's auch mal bis an die Schenkel. Heut ist der kürzeste Tag, und gerade um 12 Uhr nach deutscher als auch französischer Zeit geht drüben ein höllischer Tanz los. Meine Leute sind gerade am Hindernisbau, als drüben aus mehreren Zügen und 2 Maschinengewehren ein tolles Feuer losbricht. Ich glaubte herzklopfend unsere Leute verloren, aber als nach einer Viertelstunde kurze Ruhe eintrat, kroch einer nach dem andern in den Graben, noch nicht einen Verwundeten hatten wir. Da die Nacht unruhig blieb, konnte ich meine Leute nicht mehr arbeiten lassen.

22.6.15. Durch den Laufgrabendreck muß ich mit meinen Leuten wieder in Stellung. Es ist klarer Mondschein. Als ich mich um 10 Uhr bei Leutnant Dr. L. meldete, erfuhr ich unsern neuesten herrlichen Sieg. Lemberg genommen! Das war wohl für uns die schönste Siegesmeldung in den 4 Monaten. Wir standen an der Brustwehr zusammen und lauschten dem fernen Glockenklang, der von P. herkam, vom Nachbarregiment drang dauernd jubelndes Hurrarufen zu uns her, wir mußten wegen des Hindernisbaus Ruhe bewahren. Aber hinübergerufen haben wir es ihnen doch, und nachts haben wir Pfeile mit Telegrammen in französischer Sprache hinübergeschossen. Ich muß da an den Flieger denken, der uns damals die Einnahme von Przemysl mitteilte und uns die Räumung Belgiens innerhalb 14 Tage verkündete. Die Franzosen riefen auch andauernd: Kamerad, Kamerad, deutsches Hungerleider. Deutsches Kaiser Schurke! usw.
Die Nacht war ruhig, meine Leute konnten gut arbeiten. Ich selbst habe tief unter der Erde in jenem schön Wetter ist, ein furchtbarer Dreck im Laufgraben. Der Mond schien silberhell, es war ganz dumpfen Minenstollen horchen müssen, dem gegenüber die Franzosen minieren.


  1. Wohl Péronne an der Somme.

Persons: Fischmann, Wilhelm
Places: Italien · Péronne · Belgien · Przemysl
Keywords: Landwehrmänner · Sozialdemokraten · SPD · Kaiser · Verwundete · Eisernes Kreuz · Offiziere · Pioniere · Gefreite · Artillerie · Laufgräben · Offiziersaspiranten · Mörser · Franzosen · Gefallene · Gewehre · Vizefeldwebel · Leutnante · Feindkontakte · Drahthindernisse · Minenstollen · Minierungsarbeiten
Recommended Citation: „Wilhelm Fischmann, Kriegserlebnisse eines Kasselaners, 1915, Abschnitt 34: Ausbildung am Mörser, Bau von Drahthindernissen“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/164-34> (aufgerufen am 06.05.2024)