Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Wilhelm Fischmann, Kriegserlebnisse eines Kasselaners, 1915

Abschnitt 32: Patrouillen gegen den Feind, Beschuss, Frontleben


4.6.15. In der Nacht wurde ich durch einen fürchterlichen Krach aufgeweckt. Dreimal erzitterten die Wände. Das ist also die Wirkung der neuen schweren Minen.
In dieser Nacht hatten Infanteristen und Pioniere noch Begegnungen mit französischen Patrouillen, die vor dem Abschuß der Minen stattfanden. 3 Infanteristen waren vom vorhergehenden Abend her die ganze Nacht und den langen heißen Tag im hohen Rübenfelde versteckt bei der aufgesteckten Fahne liegen geblieben, um Gefangene zu machen. Als nun die Nacht hereinbrach, näherte sich nun auch richtig eine feindliche Patrouille. Unsere 3 Mann schossen den Führer an, gingen dann aber zum Graben zurück, um Verstärkung zu erbitten. Jetzt hieß es: 3 Pioniere vor! Infanterie folgt. Ein Unteroffizier und 2 Pioniere gehen mit Handgranaten vor, 20 Infanteristen folgen. Als sie sich bis zur Fahne vorgeschlichen hatten, werden die vordersten, unsere 3 Pioniere und 3 Infanteristen, plötzlich angerufen: „Parole, parole!" Und als sie sich hinwerfen, kracht auch schon der erste Schuß. 20 Mann lagen ihnen gegenüber, die sofort Feuer eröffnen. Unteroffizier B. ruft: Infanterie! Aber niemand kommt. Sie nehmen die Fahne und kriechen wegen der Übermacht langsam zurück. Der Gegner schießt eine Salve, und durch den Fuß geschossen, bleibt ein Infanterist vor ihnen liegen. Jetzt werfen unsere Leute schnell entschlossen ihre Handgranaten, die laut krachend gut in den feindlichen Reihen sitzen. Pionier B. greift den Verwundeten, schleppt ihn zurück, stürzt wieder vor und wirft seine letzten Handgranaten nach dem Gegner und dann kehren alle sechs mit der Fahne glücklich in unseren Graben zurück, freudig begrüßt von allen bang Harrenden.
Mit der Ruhe war's für diese Nacht auf der ganzen Front natürlich hin. Salven krachten, Maschinengewehre knatterten und Kanonen donnerten die ganze Nacht.
Den warmen und schwülen Sommertag verbrachte ich in X. beim Bau unseres minierten Unterstandes. Morgen wird der erste Rahmen zur Treppe bereits gesetzt.
Nachdem ich noch einen Zug Infanterie mit Hindernismaterial zur Stellung begleitet habe, bin ich im finstern Laufgraben bei mondlosem aber sternenklarem Himmel allein heimgewandert.

6.6.15. Wie gestern nacht war der Abschuß aus unsern Minenwerfern das Zeichen zu einer unheimlichen Knallerei auf beiden Seiten. Wir haben einen Schwerverwundeten wieder im Hindernistrupp. Ich war bis 1 ½ Uhr in Stellung und war froh, als ich aus den Laufgräben im Walde heraus war. Die sind schön zusammengeschossen.

7.6.15. Als ich in der Nacht vom 6. zum 7. Juni heimwärts ging, war südlich unserer Stellung das ununterbrochene Donnern der Geschütze zu hören. Das hatte nun schon den ganzen Abend gedauert und bis zum Mittag war in dem unaufhörlichen Rollen und Donnern noch keine Pause eingetreten. Ich habe mich draußen am Grabenrand hingesetzt und über die dunkle Ebene nach Süden gesehen. Der Himmel blitzte auf, er schien wie ein Flammenmeer in der Ferne. Das muß eine heiße Schlacht sein. Wohl eine Viertelstunde habe ich dem Grollen gelauscht, eine Grille zirpte bei mir im taufeuchten Grase und aus M. drangen die feurigen Melodien des Torgauer-Marsches1 zu mir herüber. Unheimlich ist's hier draußen.
Die Franzosen haben also bei der Nachbardivision angegriffen, sollen aber zurückgeschlagen sein.
Unterwegs und auch daheim hörte ich wieder den Donner unserer Minen. — Wie ich am folgenden Tage erfuhr, hat Leutnant Sch. eine Patrouille gemacht und festgestellt, daß 20 Franzosen den Werfern gegenüber an der Wiederherstellung des Hindernisses arbeiteten. Die sind aufgerieben, aber gleich darauf hatten sie auch uns. Granaten schlugen sofort in unsern Horchposten ein und töteten von unserer Kompagnie allein unsern lieben W. und verwundeten einen Mann schwer. Unser Hindernistrupp hatte wieder einen Leichtverwundeten.
Den glühend heißen und trockenen Tag habe ich in A. verbracht. Meine liebe . . . schickte mir den Prinz Rosa-Stramin2, und der alte, liebe Geselle hat mir ein paar Stunden lang liebes Zeug vorerzählt und Erinnerungen in mir wachgerufen.
Abends um, 7 Uhr machte ich meinen gewohnten Laufgrabenbummel. Viele liebe Briefe hatte ich von allen Seiten bekommen, die habe ich dort in der Stille gelesen und mich wieder in meinen Prinzen vertieft.


  1. Um 1817 entstandener preußischer Militärmarsch. Siehe Wikipedia-Artikel.
  2. Prinz Rosa-Stramin ist ein im Studentenmilieu angesiedeltes Buch von Ernst Koch, erschienen 1834.

Persons: Fischmann, Wilhelm · Koch, Ernst
Keywords: Minen · Infanterie · Pioniere · Franzosen · Patrouillen · Unteroffiziere · Kriegsgefangene · Handgranaten · Maschinengewehre · Geschütze · Minierungen · Laufgräben · Verwundete · Torgauer Marsch · Militärmusik · Leutnante · Granaten · Prinz Rosa-Stramin · Feldpostbriefe
Recommended Citation: „Wilhelm Fischmann, Kriegserlebnisse eines Kasselaners, 1915, Abschnitt 32: Patrouillen gegen den Feind, Beschuss, Frontleben“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/164-32> (aufgerufen am 06.05.2024)