Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Christian Eisenberg, Zwölf Feld-Predigten des Feld-Divisionspfarrers. Zweite Reihe, 1916

Abschnitt 3: Predigt 3: Ev. Lucas 1, 78-79

[11-15]

Durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes hat uns besucht der Aufgang aus der Höhe, auf daß er erscheine denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Ev. Lucas I, 78—79.

Kameraden!

Zum 2. Mal Weihnachten im Feld! Zum 2. Mal unsere Christbäume in den Schützengräben, Unterständen und Scheunen, anstatt in unseren deutschen Kinderstuben und heimatlichen Kirchen! Wollen wir darüber klagen? Wollen wir diese Feierstunde, die wir uns hier bereitet haben, damit ausfüllen, daß wir alle wehmütigen Gedanken und Erinnerungen zusammen suchen, die sich an diese Tatsache knüpfen lassen? Das wäre ein müdes kraftloses Feiern! Laßt uns lieber diesen Gedanken jenen ändern, die auf uns eindringen wollen, entgegen stellen: Wohl uns, daß wir gewürdigt sind, für das teuere Vaterland kämpfen und Entbehrungen ertragen zu dürfen! Glaubt es nur, Kameraden, gar mancher von denen, die daheim bleiben mußten, beneidet uns darum, daß wir hier draußen mit dabei sein dürfen. Wohl uns, daß Gott unser Mühen und Kämpfen bisher so sichtbar gesegnet hat. Gern wollen wir weiter alles ertragen, wenn wir der geliebten Heimat damit dienen. Ihr gehört unsere Liebe, unser Gut und unser Blut.

Es ist Weihnachten. Niemand verdenkt es uns, wenn grade an diesem Fest unser Denken und Sehnen mehr heimwärts zieht, als sonst. Aber weihnachtliches Schauen sieht mehr, als nur die irdische Heimat, klugen, die am Weihnachtslicht hell geworden sind, blicken in weiten und Tiefen hinein voll unvergänglichen Lichtes. [S. 12]

Daß wir das innigste und wärmste aller deutschen Feste nun zum 2. Mal in innerer Einsamkeit und unter dem kalten Wehen der Fremde feiern müssen, ist gewiß nicht leicht. Aber dann erst würde uns der Krieg den Weihnachtsglanz rauben, wenn er uns das zu nehmen vermöchte, was dieses Festes Kern und tiefsten Inhalt bildet. Was ist das?

Unser Text faßt es in das wunderschöne Bild: „Es hat uns besucht der Aufgang aus der Höhe", Weihnachtsbesuch, — wie viel liebe Gedanken und Erinnerungen knüpfen sich für uns an dieses Wort! Von den Weihnachtsferien der Kindheit an, die uns heimführten in's Elternhaus, bis zu so manchem lieben Fest am eignen Herd, da Eltern und Kinder mit Freunden und Verwandten enger zusammen rückten, als sonst, und die Lichter des Christbaums sich in glänzenden, frohen Augen spiegelten. Wie glückselig sind in diesen Tagen die Weihnachts-Urlauber aus unserer Mitte abgereist, und mit welchem Jubel werden sie daheim empfangen worden sein. Und wir, die wir vom Dienst hier festgehalten werden, — was bedeutet für uns in diesen Tagen jeder Brief, jedes noch so bescheidene Päckchen von daheim, das uns ein Stück Liebe von dort mitbringt. Über dem Auspacken und Lesen ist's uns dann, als ob auch uns jemand von daheim besuchte. — Und doch sind das alles nur kleine Ausschnitte irdischer, eng umgrenzter Liebe, die nie so viel kann als sie möchte, und überall auf die ihr gezogenen Schranken stößt, wie gewaltig klingt dagegen die Weihnachtsbotschaft von dem Gott der Liebe, der in der Geburt Jesu Christi voll herzlicher Barmherzigkeit eine ganze Welt besucht hat, nicht nur um sie vorübergehend zu erfreuen und zu erquicken, sondern um sie zu retten und ewig selig zu machen. Was mit Jesus Christus in diese Welt hinein gekommen ist, das ist „dem Aufgang aus der Höhe", das ist der Sonne zu vergleichen, mit ihrem Licht, ihrer Wärme und ihrem Leben. [S. 13]

Wie dunkel war es in der Welt ohne Jesus. Die Besten fühlten dieses Dunkel am tiefsten und seufzten darüber. Was ist der Mensch? Hineingeboren in den ungeheueren Zusammenhang natürlicher Gewalten; ein Spielball dunkler, erbarmungsloser Mächte; wenn nicht durch Geburt oder Rang geschützt und emporgehoben, dann wie ein Sandkorn, das zertreten wird; wie ein Nichts, um das sich niemand kümmert. Denkt an die Sklaven und ihr unermeßliches Elend. Darüber dachte man die Götter wohnend, den Menschen gleich an Leidenschaft und Sünde. Die Wissenden lachten und spotteten über sie, die Menge besänftigte sie in dumpfer Scheu durch Gaben und Opfer, suchende Seelen verzehrten sich in heißer Sehnsucht, wo gab es ein Licht für dieses Dunkel?

Und so kalt war es in der Welt, ehe Christus kam. Wohl leuchtete über Athen und Rom ein ewig blauer Himmel, unter dem dort die Weisheit und Schönheit gedieh, und hier die völkerbezwingende Macht. Aber eins gab es weder hier, noch dort; es gab keine Liebe, die sich des Armen erbarmt und des Elenden annimmt. Man verstand, Feste zu feiern; aber nicht, Barmherzigkeit zu üben. Ein jeglicher sah auf seinen Weg. Denkt an das, was uns das Neue Testament über das Schicksal der Aussätzigen, der Lahmen und Blinden in jener Zeit erzählt.

Das letzte Wort in der alten Welt hatte der Tod. Viele verstanden, mit Würde und in Ehren zu sterben, und die Philosophie lehrte, sich damit abzufinden als mit einer unabwendbaren Notwendigkeit. Aber das Grauen vor dem Tod wurde dadurch nicht gebannt. Ohne Hoffnung stand man an den Gräbern und stellte die zu Boden gekehrte Fackel als Denkmal darauf, ein Sinnbild dessen, daß das Leben erloschen und der Weg der dort zur Ruhe Gebrachten ein Weg in.die Nacht hinein war.

Da hat Gott selbst in herzlicher Barmherzigkeit die Welt besucht, als der Aufgang aus der Höhe, auf daß er erscheine [S. 14] denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes und richte ihre Füße auf den Weg des Friedens. Wie ein heller Schein fiel es in all die Dunkelheit. Nicht auf alle Fragen, die der Menschen Geist stellt, kam die Antwort. Aber doch auf die größten und wichtigsten. Es ist nicht mehr nötig, auf der Suche nach Gott im Dunkeln zu tappen, wer wirklich nach Ihm verlangt, der wende sich an Jesus Christus. Er zeigt und bringt uns den lebendigen, heiligen Gott als unsern Herrn und unsern Vater. In seinen weisen, barmherzigen Händen ruht aller Menschenkinder zeitliches und ewiges Geschick, und nicht bei unbekannten, rätselhaften Nächten. Sein heiliges, richtendes und rettendes Wollen umspannt die Völker der Erde und übersieht das Leben des einzelnen nicht. — Mit Jesus Christus ist eine Welt voll Barmherzigkeit und Liebe unter die Menschen gekommen, von Ihm haben die Seinen es gelernt, nicht nur die Allernächsten zu lieben, sondern auch die Geringen, sogar die Feinde, helfend, lindernd, tröstend geht diese aus dem Christentum geborene Liebe durch die Menschheit mit all ihrem Jammer und ihrem Leid hindurch, unerschrocken und bereit, immer aufs neue den Kampf mit der Sünde und der Not aufzunehmen. — Dem unter dem Lobgesang der Engel geborenen Heiland hat die Menschheit zum Dank für seine Liebe das Kreuz bereitet und den bitteren Todeskelch gereicht. Aber in der Kraft Gottes hat er Sünde und Tod, die ihre Hände nach ihm ausstreckten, überwunden. Seitdem stehen seine Christen nicht mehr voll Grauen vor dem Tod und nicht mehr ohne Hoffnung an den Gräbern der Ihren. Uns leuchtet der Morgenglanz der Ewigkeit; wir glauben an eine Auferstehung und an ein ewiges Leben.

Das alles, Kameraden, danken wir dem Weihnachtsfest; das alles breitet unser Gott wieder aufs neue als großes Christ-Geschenk vor uns aus und ruft uns zu: „kommt herbei, füllet frei Eueres Glaubens Hände", wie gut ist's, daß wir das dürfen, [S. 15] wie doppelt gut in dieser schweren Zeit. Wie gern und dankbar wollen wir samt unseren Lieben daheim, räumlich zwar getrennt, aber geeint im Glauben und in der Liebe, aus all der Finsternis und den Todesschatten, die uns umgeben, aufblicken zu dem, der auch für uns gekommen ist als der Aufgang aus der Höh.

„Und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens." So schließt unser Weihnachtswort. Mag der äußere Frieden, als das Ziel unserer treuen Arbeit und heißen Gebete, vielleicht noch in weiter Ferne liegen, im Herzen kann und soll er jetzt schon sicher ruhn, der durch den Heiland geschenkte Friede Gottes, welcher höher ist, als alles Irdische. Wohl kann der Krieg mit seiner bitteren Not uns Gut und Blut und Leben entreißen; über diesen tiefsten Schatz des Herzens vermag er nichts. Darum dürfen und wollen wir, trotz allem, auch hier draußen fröhlich und dankbar Weihnacht feiern. Amen.


Persons: Eisenberg, Christian
Keywords: Feldpredigten · Feldgeistliche · Weihnachten · Kriegsweihnachten · Weihnachtbäume · Schützengräben · Unterstände · Weihnachtspäckchen
Recommended Citation: „Christian Eisenberg, Zwölf Feld-Predigten des Feld-Divisionspfarrers. Zweite Reihe, 1916, Abschnitt 3: Predigt 3: Ev. Lucas 1, 78-79“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/125-3> (aufgerufen am 26.04.2024)