Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Christian Eisenberg, Zwölf Feld-Predigten des Feld-Divisionspfarrers. Zweite Reihe, 1916

Abschnitt 2: Predigt 2: zu 1. Corinth. 4, 20

[6-10]

Das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft. 1. Corinth. 4, 20.

Liebe Kameraden!

Eine böse Woche liegt hinter uns. Tag und Nacht heulte der Sturm durch unsere .... Ebene, unablässig goß der Regen und machte die Schützengräben, Wege und Arbeitsplätze zu schwer zu ertragenden Stätten. Und der Dienst duldet doch keine Unterbrechung. Man muß hier mit uns und zwischen uns leben, um es recht ermessen zu können, was es heißt: Schmutz und Nässe, Kälte und Finsternis in diesem Umfang und bei dürftigen Quartieren durch Wochen, ja durch Monate hindurch zu ertragen, wir sind auch dabei bereit, durchzuhalten, nicht wahr Kameraden? Und wir wollen es gern tun in Gedanken an unsere Lieben daheim, denen das alles zu gute kommt. Fühlen wir uns doch zum Dank für das, was wir tun, von viel warmer Liebe und treuer Fürbitte, die von der Heimat her uns umfängt, gehoben und getragen, wir sind dankbar dafür. Aber wir brauchen mehr, um fertig zu werden, wir brauchen immer neue Kraft von oben. Doppelt willkommen seien uns darum hier unsere Sonntage, mit ihren Stunden der Sammlung vor Gott und dem Aufblick zu den Bergen, von denen uns Hilfe kommt.

Das Reich Gottes — sagt unser Text — steht nicht in Worten, sondern in Kraft. Reich Gottes: Das ist da, wo Gott regiert, wo seine Königsherrschaft anerkannt wird. Es ist nicht an irdische Grenzen gebunden und nicht an Nationalitäten, es ist [S. 7] überall da, wo Menschen zu Ihm aufschauen, mit dem ernsten Willen, ihr ganzes Leben, nach innen und außen, in frohen und in schweren Stunden, von Gott regieren und mit feinem Geist durchdringen zu lassen. Wenn das auch von uns gesagt werden darf, — und das möchten wir doch, Kameraden! —, dann gehören auch wir zum Reich Gottes.

In ihm, sagt Jesus, geht es nicht nach Worten, sondern nach Kraft. Natürlich - denn Gott selbst ist ja lauter Kraft und Leben. „Worte" und „Kraft" brauchen nicht Gegensätze zu einander zu sein. Das Wort ist nicht zu entbehren; es ist das unerläßliche Mittel, den Geist mitzuteilen und andern zuzuführen; Worte können Zeugnis ablegen von großer innenwohnender Kraft und sie auf andere überleiten. Bei Gott ist es so. Gott sprach: es werde, und es ward! Tiefsinnig sagt das Johannes-Evangelium: Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Wo Gott spricht, da geschieht etwas, da ist Kraft. Sein Wort ist nicht leerer Schall, sondern ausströmende, schaffende, belebende Kraft. Sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit.

Mit Jesus ist das Reich Gottes auf diese Erde gekommen. Er ist sein Mittelpunkt. So muß also auch bei ihm die Wahrheit unseres Spruches, „daß das Reich Gottes nicht in Worten steht, sondern in Kraft", am deutlichsten zu erkennen sein. Ist es nicht so? Mehr als einmal erzählen die Evangelien: es ging Kraft von ihm aus. So viel Kranke, Schwache, Traurige und Angefochtene haben das erfahren. Auch bei ihm war meistens das Wort der Vermittler seiner Kraft, holdselig wußte er zu reden, aber auch — im Gegensatz zu den Schriftgelehrten — gewaltig, packend, umgestaltend bis in die tiefsten Gründe des Lebens hinein. Seine Worte vermochten so viel, weil, in ihm so viel Kraft war; Kraft für's Leben, für's Leiden und für's Sterben, wer hat die drei und dreißig Jahre eines kurzen Lebens so ausgekauft, [S. 8] wie er? Von welchem Leben geht so unermeßlich viel Segen aus durch die Jahrhunderte hindurch, wie von dem seinen? Wo hat ein Leidender und Sterbender so viel Geduld, Kraft und Frieden gezeigt, daß er's, wie der Mann der Schmerzen, unter die Losung für die ganze Welt stellen durfte: „nehmet auf Euch mein Joch und lernet von mir"? — Wir fragen nach den Quellen dieser sich nie verbrauchenden Kraft Jesu. Sie floß aus seinem reinen Gewissen, aus seinem großen inneren Frieden, aus seiner lebendigen Verbindung mit Gott, gepflegt durch ein unablässiges, treues Gebetsleben. Die Evangelien haben uns manchen Zug daran festgehalten, wie es den Heiland nach mancher mehr als reichen Tages-Arbeit, die viel Kraft verbrauchte, noch auf die Höhen der Berge oder in die Stille der Wüste zog, um dort — im Allein-Sein mit seinem himmlischen Vater — neue innere Stärke zu sammeln. So ist er betend durch seine Tage geschritten und betend in die Nacht gegangen, als der Tod seine Fittiche um ihn schlug, und er hat Kraft genug gehabt für sich und für andere.

Davon lernen wir Christen, die wir viel Kraft in schwerer Zeit bedürfen. Jetzt müssen wir es erweisen, ob unser Christentum echt oder unecht ist. Echt ist es, wenn es Wahrheit und Kraft in sich trägt und sich den ihm vom Leben gestellten Aufgaben gewachsen zeigt. Unecht ist's, wenn es da, wo es sich bewähren sollte, versagt. Es hat immer ein wahres und ein Schein-Christentum gegeben. Während das erstere schlicht, nicht selten still ist, aber im Dienst der Wahrheit steht und seine Anhänger mit unbeugsamer Kraft füllt zu gesegneter Arbeit und — wenn es sein muß — zu tapferem Leiden, erschöpft sich das Schein-Christentum in Worten, in Phrasen und frommen Gebärden, ist innerlich unwahr und haltlos. Wie reich ist unsere Zeit an solchen Erscheinungen! Wie viel hat englisches Christentum seit Jahrzehnten in der Welt von sich reden gemacht. Wie oft ward die englische Sonntags-Heiligung gepriesen und die englische [S. 9] Welt-Mission gerühmt; wie oft hat England den Anspruch erhoben, als das von Gott selbst zur Weltherrschaft berufene Volk seine Politik im Namen des Christentums zu führen. Besteht es nun die Probe angesichts der Hinterlist und Lüge, der Gier und Tücke und brutalen Gewalt, die in diesem Krieg grade von England aus emporschäumen? (Ihr wißt, Kameraden, wenn wir so von den uns feindlichen Völkern sprechen, daß wir es nie in pharisäischer Art tun wollen, die bei andern nur Schlechtes, bei uns Deutschen nur Gutes sieht; wir bemühen uns vielmehr, die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind). Wenn wir die öffentlichen Äußerungen der Völker und ihrer Pressen in dieser Kriegszeit überblicken: wie viel Ruhmredigkeit finden wir da, wie viel törichtes Prahlen, wie viel leere Worte, die nur den Zweck zu haben scheinen, innere Kraftlosigkeit zu verdecken; aber auch: wie viel gesammelte Kraft, wie viel stilles, starkes Heldentum. Unser Volk, die ganze Welt hat in diesen Tagen auf den deutschen Reichstag gelauscht. Dort sind Worte laut geworden voll starker, zuversichtlicher Kraft- nicht geschöpft aus der Sucht, die Welt blenden zu wollen, sondern aus der Zuversicht des guten Gewissens. Das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft. Große Fragen werden niemals durch Worte entschieden, sondern immer nur durch Taten. Und so gewiß es sich bei diesem Weltkrieg im letzten Grund nicht nur um politische und um Macht-Fragen handelt, sondern um ein Stück von dem Riesen-Kampf zwischen Licht und Finsternis, so gewiß wird auch er nur durch Taten voll gewaltigster, echtester Kraft entschieden werden. Diese Kraft ist aber nicht immer bei den stärksten Bataillonen, sondern da, wo die Verbindung mit Gott am ungehemmtesten ist.

Damit ist jedem einzelnen unter uns, Kameraden, der Weg gewiesen. Wann werden wir unserem Vaterland am besten dienen können? Wann werden wir im stande sein, schwere Tage und Wochen am ungebrochensten zu ertragen? Wenn wir uns, soweit [S. 10] das an uns liegt, den Weg zu den ewigen Kraftquellen offen halten; wenn wir unserem Gott Glauben und Treue bewahren; wenn wir im Gebet und Umgang mit Gottes Wort uns immer aufs neue stärken und segnen lassen; wenn wir unsern Heiland im Herzen tragen als Vorbild und Erlöser. Dann gehören auch wir zu seinem Reich - und das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft. Amen.


Persons: Eisenberg, Christian
Places: England
Keywords: Schützengräben · Feldpredigten · Feldgeistliche · Witterung
Recommended Citation: „Christian Eisenberg, Zwölf Feld-Predigten des Feld-Divisionspfarrers. Zweite Reihe, 1916, Abschnitt 2: Predigt 2: zu 1. Corinth. 4, 20“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/125-2> (aufgerufen am 26.04.2024)