Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Christian Eisenberg, Zwölf Feld-Predigten des Feld-Divisionspfarrers. Zweite Reihe, 1916

Abschnitt 12: Predigt 12: zu 2. Thimot. 1,7

[53-56]

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Zucht. 2. Thimot. 1,7.


Kameraden!

Pfingsten ist das Fest des Geistes. Was für ein Geist gemeint ist, hat uns das eben gesungene Pfingst-Lied wieder gesagt: heiliger Geist- Geist aus der Höhe - Geist, der imstande ist, Menschen umzugestalten, zu durchläutern, zu Wohnungen und Werkzeugen Gottes zu machen. Wir alle hier draußen haben eine starke Empfindung dafür, wie nötig uns solcher Geist von oben ist; doppelt nötig in dieser schweren Zeit. Durch die Menschheit wehen und wogen eben allerlei Geister hindurch, darunter viel unheilige und ungute: der Geist des Hasses und der Leidenschaft, der Lüge und Verleumdung, der Verzagtheit und des Trotzes. Ein Meer von Leid, von Blut und Tränen umbrandet uns und spült manchen hinweg. Wer möchte sagen, daß er aus sich selbst heraus genug zu schöpfen vermag, um dem allen standhalten zu können? Eindrucksvoller, als früher, wird uns das Wort: „Mit unserer Macht ist nichts getan; wir sind gar bald verloren". Aber wir dürfen zu Ihm aufblicken, der über alle dem, was uns hier auf Erden umtreibt, in heiliger Ruhe und großer Kraft regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit; zu dem Geber aller guten Gaben; zu dem Gott des Friedens und der Gnade, der schwache, wankende Menschenherzen stark, fest und getrost machen kann. Das hat er einst bei dem kleinen Jüngerkreis dort in Jerusalem getan. Wir haben die Pfingstgeschichte eben gehört. Manches daraus verstehen wir jetzt besser, als früher, seitdem wir beim Kriegs-Ausbruch erlebt haben, wie das Feuer heiliger Begeisterung in den Herzen auflohte, wie es gleich einem Sturm durch unser Volk dahinbrauste und die einzelnen ergriff. So ähnlich ist damals unter wunderbaren Sinnbildern und merkwürdigen Erscheinungen Gottes Geist in jene Männer gekommen und hat sie umgestaltet, emporgehoben, gestützt [S. 54] und getragen. Er will auch zu uns kommen; nicht einmal nur; nicht immer so stürmisch; vielmehr immer aufs neue, still und stetig, als unseres Lebens bester Teil. Wie dieser Gottesgeist im einzelnen ist, und was er wirkt, beschreibt unser Textwort.

Der Geist, den Gott gibt, ist nicht ein Geist der Furcht, sondern der Kraft. Furchtbar tobt der Krieg, wie eine schwere, schwere Last ruht er auf den Völkern. Mit tiefer, innerer Ergriffenheit haben wir besonders in den letzten Tagen immer wieder hinüber gehorcht und hinüber gesehen nach dem dort tobenden Kampf, was heißt es, darin auszuhalten Tag und Nacht, Nacht und Tag! Ihr habt selbst genug erlebt, Kameraden, um beurteilen zu können, was es bedeutet, in solchem Feuer fest stehen zu sollen, zäh und treu, wir alle wissen, wie viel äußere und innere Kraft es kostet, Monat um Monat das Feldleben zu ertragen; und es kann uns niemand sagen, wie lange es noch dauert, und was noch an Opfern von uns allen gefordert werden mag.— Auch auf die Heimat drücken die Lasten des Krieges schwer genug. Wirtschaftliche Nöte, Todesleid, Herzens-Sehnsucht reden ihre deutliche Sprache, und manchem Gemüt ist es bei dem allen zu Mut, als müsse es verschmachten.

Gern lassen wir uns über alle dem vom Apostel daran erinnern, daß Gott da, wo Er gibt, nicht den Geist der Furcht schenkt, sondern den der Kraft. So schlicht klingt das, und so gewaltig. Nicht Furcht, sondern Kraft—, das ist's was wir nötig haben, immer aufs neue. Wie viel Ursache hat das deutsche Volk, seinem Gott dafür zu danken, daß Er uns bisher ein so reiches Maß dieser seiner herrlichen Gabe geschenkt hat. Wir haben uns nicht gefürchtet, als unsere Feinde in gewaltiger Übermacht gegen uns aufstanden und als ihrer immer mehr wurden, wir fürchten uns auch heute nicht, obwohl wir ihre zähe Kraft und ihre todesmutige Ausdauer jetzt besser kennen, als im Anfang. Schläge voll gewaltiger Kraft haben die deutschen Heere austeilen dürfen auf allen Kriegsschauplätzen. Dafür loben wir Dich droben, du Lenker der Schlachten, und flehen, wollst stehen uns fernerhin bei. Denn wir sind noch nicht fertig. Bis zum siegreichen Ende liegt noch ein weiter, heißer Weg vor uns. Wollen wir ihn überwinden, so müssen wir Gott bei uns haben mit seiner Kraft; den heiligen, allmächtigen Gott, zu dem wir um Christi willen getrost und mit aller Zuversicht emporblicken dürfen, wie die lieben Kinder zu ihrem lieben Vater; den Gott, der dem Aufrichtigen seine Schuld vergibt, der auch im dunkeln Todestal nicht allein läßt, der Leid und Trübsal in seinen Dienst nimmt und aus schwerer, opferreicher Zeit Freuden- und Segens-Ernte reifen läßt. Nach diesem Gott strecken wir uns aus und seinen Geist, der nicht ein Geist der Furcht, sondern der Kraft ist, meinen wir, wenn wir flehen: O heiliger Geist, kehr bei uns ein!

Als Geist der Liebe bezeichnet der Apostel den Geist, welchen Gott gibt. Ist dafür Raum in dieser rauhen, eisernen Zeit? Gottes Wort weiß, was es tut, wenn es Kraft und Liebe hart neben einander stellt. Ist der allmächtige Gott mit all seiner Kraft nicht zugleich der Gott der Liebe? War unser Heiland, der so kraftvoll durch alles Leid und alle Sünde dieser Welt hindurchschritt, nicht von unendlicher Liebe? Ist nicht der Apostel Paulus, der den Trutz-Gesang schrieb: „Ist Gott für uns, wer mag wieder uns sein"? auch der Verfasser des Hohenliedes von der Liebe: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle"? So soll sich auch in uns der Geist der Kraft mit dem der Liebe vereinigen. Wir haben beides nötig genug. Nicht nur viel Kraft brauchen wir, sondern auch viel Liebe, um hier draußen recht aushalten zu können. Es soll nicht nur die eiserne Pflicht sein, die uns aufrecht erhält, sondern die immer aufs neue auflodernde Liebe zu Vaterland und Heimat, zu Weib und Kind, zu all den hohen, heiligen Gütern, die uns durch diesen Krieg bedroht sind, und für die wir gern und freudig eintreten, mit der Hingabe — wenn es nötig wird — auch des eigenen Lebens. Dazu muß Gott selbst uns immer wieder [S. 56] ausrüsten, uns mit den Strahlen seiner eigenen ewigen, großen Liebe die Herzen warm und weit und opferwillig machen. — Auch daheim haben sie diesen Geist der Liebe nötig. Gott sei gelobt dafür, daß Er einen so reichen Strom davon vom Anfang des Krieges an durch die Adern unseres deutschen Volkes hat fließen lassen, viel, viel Liebe ist in der Heimat an der Arbeit, um Verwundete zu pflegen, Tränen zu trockenen, Notstände zu lindern, müde Soldaten zu stärken. Unsere Bitte am Pfingst-Fest soll sein: daß Gott diesen Strom der Liebe nicht versiechen noch versanden lasse, daß er vielmehr, aus den Quellen der Ewigkeit immer aufs neue genährt und gestärkt, tief und rein dahinfließen möge, das Dürre netzend, auch verborgene Ecken erreichend, erquickend und tröstend hin und her flutend zwischen der Heimat und uns.

Ein Geist der Zucht ist der Geist aus der Höhe. Gott ist der große Erzieher der Menschheit. Was will Er im letzten Grund mit diesem ungeheueren Krieg? Er will seine Menschenkinder, will unser Volk erziehen; will uns heraushelfen aus all dem Schwülen, Satten, Allzu-Irdischen, das wie schwere Wolken über uns lag - Gott will uns emporführen, denn ewig wahr bleibt das alte Wort: wenn Du mich demütigst, machst Du mich groß. — Gott kann dieses sein hohes Ziel bei uns nur erreichen, wenn wir in Erkenntnis seines gnädigen, heiligen Willens zur Selbst-Erziehung, zur Selbst-Zucht bereit werden. Wollen wir darum bleibenden Segen von diesem Pfingst-Fest mit hinwegnehmen, so müssen wir uns von ihm aufs neue zu ernster Arbeit an uns selbst anleiten lassen: daß wir uns — trotz der Länge und abstumpfenden Wirkung des Feldlebens — nicht gehen lassen in unserem Denken und Tun- daß wir nichts wollen, als was vor Gott bestehen kann,- daß das unser größtes Anliegen bleibt, seine Kinder und Jünger Jesu bleiben zu dürfen. Im Aufblick zu Ihm wollen wir unsere Wege weiter gehen. Jeden Tag gebe Er uns aufs neue seinen Geist, der nicht ein Geist der Furcht ist, sondern der Kraft und der Liebe und der Zucht. Amen.


Persons: Eisenberg, Christian
Keywords: Feldpredigten · Feldgeistliche
Recommended Citation: „Christian Eisenberg, Zwölf Feld-Predigten des Feld-Divisionspfarrers. Zweite Reihe, 1916, Abschnitt 12: Predigt 12: zu 2. Thimot. 1,7“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/125-12> (aufgerufen am 25.04.2024)