Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Karl Albrecht, Irrfahrt eines Seemanns aus Fulda zu Beginn des Weltkriegs, 1914-1915

Abschnitt 7: Glückliche Ankunft in Genua, für König und Vaterland

Nach Mitternacht, um 2 Uhr, wurde ich durch überlautes Sprechen aus meinem Schlafe gestört. Einen Augenblick später erschien in meiner Kabine einer meiner Freunde, ein spanischer Major, in Begleitung eines Unbekannten. Er stellte denselben als Landsmann und Leidensgefährten vor. Der arme Kerl hatte sich, mittellos wie er war, einen Tag vor Abgang des Schiffes an Bord eingeschlichen und 2 ½ Tage ohne Essen und Trinken unter einem Bett einer Kabine zugebracht, um auf diese Weise Italien und später sein Vaterland zu erreichen. Von Durst gequält, hatte er in der Nacht sein Versteck verlassen, um nach Wasser zu suchen. Da er solches in der Kabine nicht fand, setzte er seine Nachforschungen in den Gängen des Schiffes fort. Dabei wurde er von dem Nachtwächter des Schiffes überrascht. Der Deutsche, die sichere Gefangenschaft vor Augen sehend, wollte sich losreihen und über Bord springen, da kam zum Glück der spanische Major dazu. Er beruhigte den Gefangenen, sagte ihm, er brauche keine Furcht zu haben, er sei ein Deutschenfreund und führte ihn mir dann zu. Nachdem der Ausgehungerte ordentlich gegessen und getrunken hatte, mußte er erzählen.

Als ich am anderen Morgen auf Deck kam, fragte mich der Ingenieur des Schiffes, auch ein großer Deutschenfreund, ob ich schon gehört hätte, daß außer mir noch ein Deutscher an Bord sei. Ich erzählte ihm dann die Erlebnisse der Nacht. Da offenbarte er mir, daß er unten zwischen den Kohlen noch drei Deutsche sitzen hätte, welche aber während der Ueberfahrt keinen Hunger gelitten hätten. Die Matrosen und Offiziere des Schiffes hatten überdies noch eine Sammlung für dieselben veranstaltet. Wirklich, die Haltung der Besatzung des Schiffes, vom Kapitän bis zum letzten Matrosen uns Kollegen und Deutschen gegenüber war tadellos.

Am 27. Februar, mittags, landeten wir glücklich in Genua. Nach all den Aufregungen und schlaflosen Nächten atmete ich erleichtert. Es war erreicht! Beim deutschen Konsul in Genua meldete ich mich sofort und erhielt einen Passierschein nach meinem Vaterland. Der spanische Major gab mir noch einen weiteren Beweis seiner Freundschaft. Die lange Reise, die Manipulationen, die ich vornehmen mußte, hatten meine nicht geringen Ersparnisse aufgezehrt. Mein ganzes Gepäck hatte ich der Sicherheit halber in Barcelona zurücklassen müssen, ich besaß weiter nichts, als was ich am Leibe trug. Da erbot sich der menschenfreundliche Spanier, die Heimreise und die Hotelkosten zu tragen. Mit vielem Dank verabschiedete ich mich in Zürich von ihm.

Am 1. März betrat ich zum erstenmale wieder deutschen Boden, ohne Aufenthalt ging es in die Heimat, um meine Eltern, die ich schon lange nicht mehr gesehen, und die mich Gott weiß wo wähnten, vor dem Einrücken erst noch einmal zu begrüßen. Dann nach Potsdam zu meinem alten Regiment, und nun

„Mit Gott für König und Vaterland !"


Recommended Citation: „Karl Albrecht, Irrfahrt eines Seemanns aus Fulda zu Beginn des Weltkriegs, 1914-1915, Abschnitt 7: Glückliche Ankunft in Genua, für König und Vaterland“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/110-7> (aufgerufen am 23.04.2024)