Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Karl Albrecht, Irrfahrt eines Seemanns aus Fulda zu Beginn des Weltkriegs, 1914-1915

Abschnitt 5: Probleme bei der Weiterfahrt nach Genua

Hier erfuhr ich zu meinem größten Schrecken, daß es für einen Deutschen ein Ding der Unmöglichkeit sei, von dort wegzukommen, da die Kontrolle der Franzosen sehr streng sei, Was nun anfangen? Ich ließ den Mut nicht sinken, sondern dachte, bist du bis hierher gekommen, kommst du auch noch weiter. Der Sicherheit halber vernichtete ich meinen spanischen Paß und besorgte mir für vieles Geld italienische Papiere, um damit mein Glück zu versuchen. Ich beschaffte mir einen Fahrschein für einen italienischen Dampfer, der nach Genua ging. Zur Zeit der Abfahrt des Dampfers ging ich an Bord und legte dem Kommissar Papiere und Fahrschein vor. Trotzdem ich demselben alle Fragen in italienischer Sprache beantwortete, sagte er mir doch auf den Kopf zu, daß ich ein Deutscher sei, ich deshalb Gefahr liefe, von den Franzosen gefangen genommen zu werden. Alle meine Hinweise auf die Papiere und die Photographie auf dem Paß sowie alles Parlamentieren half nichts, er sagte: Sie sind kein Italiener und können nicht mitfahren. Auch der Hinweis, daß ich doch auf eigene Gefahr reisen würde, verfing bei dem Herrn nicht.

Nun saß ich wieder da und mußte andere Pläne machen, um zu meinem Ziel zu gelangen. Mittlerweile war es Aschermittwoch geworden. Die Spanier sind im allgemeinen deutschfreundlich gesinnt, aber die französische Presse und die Agitatoren haben doch auch viele gegen Deutschland verhetzt. So benutzte ein Teil dieses ausgestachelten Janhagels1 die zu Ende gehende Karnevalszeit dazu, bei dem am Aschermittwoch stattfindenden Umzug, dem sog. „Sardinenbegräbnis", unseren Kaiser zu verhöhnen. Eine Strohpuppe, als deutscher Kaiser verkleidet, wurde auf einer Bahre umher getragen und sollte dann verbrannt werden. Als die Gruppe an mir vorüberzog, juckte es mir ordentlich in den Fingern, aber ich mußte zurückhalten, denn was hätte ich allein ausgerichtet? Weit kam die Gruppe nicht mehr, da war es den deutsch-freundlichen Spaniern zuviel, sie packten zu und es gab eine Keilerei, bei welcher eine Person getötet und viele verletzt wurden.

Meine Absicht, mit einem italienischen Dampfer wegzukommen, mußte ich entgiltig aufgeben. Nach „berühmten Mustern" verfiel ich nun auf den Plan, mein Glück als Kistenreisender zu versuchen. Ich bestelle mir einen Pianokasten und richtete denselben zweckentsprechend her, daß das Gewicht nicht schon den Inhalt verraten würde. Nebenbei hatte ich natürlich auch meine Versuche, auf bequemere Art und Weise fortzukommen, nicht außer Acht gelassen. Und diese Versuche sollten, Gott sei Dank, unerwartet von Erfolg gekrönt sein. Auf Grund eines argentinischen Passes, den ich mir erworben und der von „fachkundiger" Hand entsprechend hergerichtet worden war, gelang es mir, für einen spanischen Dampfer, der am 25. Februar nach Genua auslief, eine Passagierkarte erster Klasse zu erlangen. Ohne weitere Anstände passierte ich die Kontrolle und hätte aufjauchzen mögen, als das Schiff endlich los machte. „Lieber Gott," betete ich, jetzt laß einen ordentlichen Sturm kommen, dann wird alles gut gehen." Und als ob mein Gebet Erhörung gefunden hätte, setzte nachmittags um 4 Uhr ein derartiger Sturm ein, daß unser Schiff wie eine Nußschale hin und hergeworfen wurde. Dadurch war es den französischen Schiffen unmöglich gemacht, an unseren Dampfer heranzukommen und zu kontrollieren. Schon war Monaco in Sicht und damit die italienische Grenze bald erreicht. Gerettet! jubelte ich — doch was zeigt sich dort am Horizont? Es war ein französischer Kontrollkreuzer. Nun wurde es mir doch nicht einerlei. „Sollst du, jetzt, so kurz vor der Einfahrt in den rettenden Hafen, doch noch den Franzosen in die Hände fallen?" dachte ich.


  1. Janhagel, veralteter Ausdruck für „Pöbel“.

Recommended Citation: „Karl Albrecht, Irrfahrt eines Seemanns aus Fulda zu Beginn des Weltkriegs, 1914-1915, Abschnitt 5: Probleme bei der Weiterfahrt nach Genua“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/110-5> (aufgerufen am 27.04.2024)