Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Karl Albrecht, Irrfahrt eines Seemanns aus Fulda zu Beginn des Weltkriegs, 1914-1915

Abschnitt 6: Kontrolle durch ein französisches Kriegsschiff

Das französische Schiff signalisierte, daß wir halten sollten und schon bald kamen ein Offizier und vier bewaffnete Matrosen an Bord. Wir Passagiere 1. Klasse wurden nach dem Zahlmeisterzimmer gebeten, damit unsere Pässe und Papiere durch den französischen Offizier geprüft würden. Nun wurde es mir doch etwas bange zu Mute. Mein argentinischer Paß paßte nämlich bei den einzelnen Angaben des Signalements gar nicht auf meine Persönlichkeit. Schon die erste Angabe betr. der Profession konnte Argwohn erregen, denn wie kam ein „pinter" (Anstreicher) dazu, 1. Klasse zu fahren. Wenn nun der Offizier Proben meines Könnens verlangt hätte? Weiter sollten meine Haare laut Paß schwarz sein, in Wirklichkeit waren sie aber blond. Auch die Größenangabe stimmte nicht. Auf dem Paß war 1,68 vermerkt, aber ich hatte das Gardemaß, das ich früher in Deutschland schon erreicht hatte, längst überschritten und maß nun 1,81 Meter. Nun, das wäre ja nicht so schlimm gewesen, ich war eben inzwischen gewachsen.

Kaltblütig und gelassen trat ich vor den Offizier, der mich von oben bis unten musterte. „Sprechen Sie deutsch?" hauchte er mich an. Ich machte ein dummes Gesicht und tat so, sld ob ich ihn nicht verstände. Nochmals wiederholte er in deutscher Sprache die Frage, aber mit demselben Erfolg. „Kanitverstahn!" Ich sagte ihm nun auf spanisch, er solle so mit mir sprechen, daß ich ihn verstehen könne und daß meine Muttersprache englisch sei. In englischer Sprache fragte er nun, wo ich herkäme und wo ich hinführe. Er prüfte nochmals meine Papiere und hielt den Paß längere Zeit gegen das Licht. Mir wurde heiß. Sollte er merken, daß verschiedene Radierungen vorgenommen wären, daß die Photographie des früheren Paßinhabers abgelöst und dafür die meine daraus praktiziert worden und daß der fehlende Stempel durch einen falschen ersetzt worden war? Er schien Verdacht zu schöpfen. „Wie kommt es, dich Sie einen italienischen Namen haben und keinen englischen?" „Mein Vater ist Italiener, aber in Argentinien sprechen wir englisch", war die Antwort.

„Diese Auskunft genügt mir noch lange nicht, Haben sie keine sonstigen Ausweise?" Ich zog meine Brieftasche heraus, legte ihm Briefumschläge und Visitenkarten auf meinen falschen Namen lautend, vor, außerdem noch einige Visitenkarten mit französischen Namen von Bekannten, die ich vor zwei Jahren in Toulon und Marseille erhalten hatte. Aber auch das genügte dem gestrengen Examinator noch nicht. „Setzen Sie sich her und schreiben Sie mal Ihren Namen!" gebot er jetzt. „Nun fällst du rein," waren meine Gedanken. Die Unterschrift des früheren Paßinhabers war ein ziemlich verschnörkeltes Ding. Zum Glück hatte ich in Barcelona mich etwas im Nachschreiben geübt. Ich setzte mich ruhig nieder und als ob mir mein guter Engel die Hand geführt, gelang der Name vorzüglich. Einen Augenblick nur staunte ich selbst über meine Fingerfertigkeit. Die gelungene Unterschrift war meine Rettung. Der Offizier gab mir nun ohne Weiteres meine Papiere und verabschiedete sich von mir.

Vor der Türe erwarteten mich die Mitreisenden der 1. Klasse, Spanier, mit denen ich auf der Ueberfahrt Freundschaft geschlossen und die sich ob meines langen Ausbleibens schon allerhand Gedanken gemacht, mit offenen Armen. Das Händeschütteln und Beglückwünschen wollte kein Ende nehmen und alle freuten sich, daß ich dem französischen Offizier eine Nase gedreht. Am selben Abend wurde zur Feier des Tages noch eine kleine Kneiperei veranstaltet.


Recommended Citation: „Karl Albrecht, Irrfahrt eines Seemanns aus Fulda zu Beginn des Weltkriegs, 1914-1915, Abschnitt 6: Kontrolle durch ein französisches Kriegsschiff“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/110-6> (aufgerufen am 20.04.2024)