Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Karl Albrecht, Irrfahrt eines Seemanns aus Fulda zu Beginn des Weltkriegs, 1914-1915

Abschnitt 3: Von Singapur über Kapstadt nach Buenos Aires

Am ersten Mobilmachungstage stellte ich mich beim deutschen Konsulate in Singapore zur Verfügung. Mit noch 300 dort ansässigen Deutschen bekam ich die Weisung, mich auf dem schnellsten Wege nach Kiautschou zu begeben. Trotzdem England noch nicht in den Krieg verwickelt war, verbot die englische Regierung in Singapore die Einschiffung der Deutschen nach ihrem Heimatlande oder nach deutschen Besitzungen. Auch wurden schon sämtliche Singapore passierenden Schiffe durch englische Torpedoboote untersucht. Die ganze Nacht spielten die Scheinwerfer der englischen Küstenbatterien, um etwa verdächtige Schiffe erspähen zu können. Am Morgen, als unsere Fregatte in Singapore einlief, war zur gleicher Zeit der deutsche kleine Kreuzer „Geier" angekommen, welcher am folgenden Tage Kohlen nahm und dann spurlos verschwand. Ein weiterer Versuch unsererseits, mit einem japanischen Dampfer nach Kiautschou zu gelangen, war erfolglos, die Japaner gaben uns eine abschlägige Antwort. Um der Gefangenschaft zu entgehen, begab sich ungefähr die Hälfte der Reservisten auf holländischen Dampfern nach Sumatra und Java in neutrales Gebiet, während ich es vorzog, auf mein Schiff zurückzukehren. In Batavia, Holländisch-Indien, erfuhr ich vier Tage später, daß sämtliche in Singapore zurückgebliebene Deutschen von England zu Kriegsgefangenen gemacht worden waren. Auch dort wurden die bekannten Lügenberichte der Engländer schon verbreitet. Am sechsten Kriegstage seien die Deutschen bei Lüttich vollständig geschlagen worden und hätten 30 000 Tote gehabt. Im Golfe von Biscaya seien bei einem Seegefecht 19 deutsche Kreuzer gesunken usw. usw. Ich konnte dies alles nicht glauben und bezeichnete es auch den Offizieren unseres Schiffes gegenüber, die sich zum Teil darüber belustigten, direkt als Schwindel.

Unsere Weiterreise, die durch das Mittelmeer gehen sollte, mußten wir des Krieges wegen aufgeben und so begaben wir uns auf dem kürzesten Wegs, um Südafrika herum, auf die Heimreise. Von den 40 Tagen, die wir zur Durchquerung des Ozeans brauchten, kam mir jeder einzelne wie eine Ewigkeit vor, da wir vollständig ohne jede weitere Nachricht über die Kriegslage blieben.

Sehnsuchtsvoll sah ich der Ankunft in Kapstadt entgegen, um dort erfahren zu können, was inzwischen geschehen sei. Am 26. September trafen wir vor Kapstadt ein, mußten aber warten, bis uns von der militärischen Behörde die Einfahrt in den Hafen erlaubt wurde. Im Hafen lagen fünf deutsche Dampfer, die von den Engländern festgehalten worden waren, während drei größere Truppentransportschiffe zur Abfahrt noch Deutschsüdwest- und -Ostafrika bereit lagen. An Land angekommen, sah ich, daß fast alles in Waffen und auch die Jugendwehr und Freiwillige eingezogen worden waren. Warum sie eingezogen wurden, wußten die Leute nicht, da ihnen der Burenaufstand verheimlicht wurde. Jeder Deutschverdächtige wurde angehalten; wer sich nicht legitimieren konnte, wurde verhaftet. Auch einigen Offizieren unseres Schiffes erging es so, während ich als unverfälschter Deutscher nicht die Ehre hatte, trotzdem ich viel an Land war. Man sah mich wohl argwöhnisch an, doch wurde ich nicht weiter belästigt. Die verhafteten Offiziere unseres Schiffes wurden, nachdem sich der Irrtum aufgeklärt, bald wieder freigegeben. Auch in Kapstadt schwelgten die englischen Zeitungen in Lügennachrichten. So konnte man z. B. in den Tagen, wo die Russen die große Niederlage bei Tannenberg erlitten hatten, dort in den Zeitungen lesen: „Mitteilung des russischen Generalstabs. In Ostpreußen nichts Neues. Es fanden keine Kämpfe statt.“ Aber täglich waren Hunderte und Tausende Oesterreicher und Deutsche gefangen genommen worden oder gefallen. Ich beunruhigte mich über diese Nachrichten nicht weiter da man ja die Lügen deutlich herauslesen konnte.


Recommended Citation: „Karl Albrecht, Irrfahrt eines Seemanns aus Fulda zu Beginn des Weltkriegs, 1914-1915, Abschnitt 3: Von Singapur über Kapstadt nach Buenos Aires“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/110-3> (aufgerufen am 24.04.2024)