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Debatte um Friedrich Wolfs Schauspiel „Cyankali“, 30. Oktober 1929

Das Schauspiel „Cyankali“ von Friedrich Wolf (1888–1953), das sich mit der Abtreibungsproblematik auseinandersetzt, löst bei der Erstaufführung im Schauspielhaus in Frankfurt am Main erregte Debatten aus. Ein geplantes Gastspiel in Darmstadt wird auf massive Intervention der katholischen Zentrumspartei abgesetzt.

In „Cyankali“ wird der gemeinsame Kinderwunsch eines jungen Paares, Hete und Paul, von einem Arbeitskampf und Pauls Aussperrung aus dem Betrieb durchkreuzt. Da Hete jedoch bereits schwanger ist, beschließt sie, das Kind abzutreiben. Bei der Ausführung dieses Plans stößt sie auf der Suche nach medizinischer Unterstützung jedoch auf Ärzte, die ihre Notsituation auszunutzen versuchen oder ihr illegales Ansinnen ablehnen. Paul, der aufgrund der schlechten Ernährungssituation seiner Angehörigen und der Nachbarschaft in die Werkskantine einbricht und Lebensmittel stiehlt, wird von der Polizei verfolgt und muss untertauchen. Auf sich selbst gestellt, unternimmt Hete auf eigene Faust einen Abtreibungsversuch. Dabei verletzt sie sich und erkrankt in der Folge an Kindbettfieber. Verzweifelt bittet sie eine Lohnabtreiberin, den Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Diese bemerkt jedoch, das Hetes schlechter gesundheitlicher Zustand von einem vorhergehenden Abtreibungsversuch herrührt. Sie verweigert Hete die Herbeiführung des Aborts, empfiehlt ihr aber, die Tötung des Ungeborenen mit wenigen Tropfen Zyankali zu versuchen. Mit einem Fläschchen Gift, das ihr die Lohnabtreiberin mitgibt, flüchtet Hete zurück nach Hause zu ihrer Mutter. Den Frauen gelingt es gemeinsam nicht, die Dosierung der tödlichen Substanz richtig einzuschätzen. Zwar gelingt die Abtreibung, aber Hete vergiftet sich. Der herbeigerufene Arzt kann die junge Frau nicht retten. Vielmehr zeigt er Hete und ihre Mutter wegen der Kindstötung bei der Polizei an. Hetes Mutter und der zwischenzeitlich verhaftete Paul werden nach einem rücksichtslosen Verhör durch die Polizei abgeführt. Die sterbende Hete bleibt allein zurück.

Wolf, der seit 1928 Mitglied der KPD und des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller ist, löst mit seinem Drama in der Öffentlichkeit eine hitzige Diskussion über den 1871 eingeführten Abtreibungsparagraph 218 aus. Der Paragraph besagt, dass eine Schwangere, „welche ihre Frucht abtreibt oder im Leib tötet“, mit einer Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden kann. Der Autor, selbst Arzt, sieht sich zeitweise vehementen Angriffen ausgesetzt, die ihn wegen angeblicher Unterstützung der gewerbsmäßigen Abtreibung vor Gericht bringen.1

Friedrich Wolf ist der Vater des späteren Leiters des Auslandsnachrichtendienst im Ministerium für Staatssicherheit („Hauptverwaltung Aufklärung“, HVA) der Deutschen Demokratischen Republik, Markus Wolf (1923–2006).
(OV/KU)


  1. Der Schriftsteller wird am 19. Februar 1931 gemeinsam mit einer Kollegin, Else Kienle, wegen des Vorwurfs der „gewinnsüchtigen, gewerbsmäßigen Abtreibung“ angeklagt. Frau Dr. Kienle habe über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg bei mehr als 100 Frauen rechtswidrige Abtreibungen vorgenommen. Dabei seien ihr die Patientinnen in der Mehrzahl durch Wolf zugewiesen worden. Der Prozess wird allerdings nicht zu Ende geführt, da die beiden Ärzte ihre vorläufige Haftentlassung dazu nutzen, ins Ausland zu emigrieren. Vgl. dazu ausführlich: Alfred Apfel, Hinter den Kulissen der deutschen Justiz. Erinnerungen eines deutschen Rechtsanwalts 1882–1933, 1., neue Ausg., Berlin 2013, S. 75-82.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Debatte um Friedrich Wolfs Schauspiel „Cyankali“, 30. Oktober 1929“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/664> (Stand: 31.8.2020)
Ereignisse im September 1929 | Oktober 1929 | November 1929
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