Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Otto Merkel, Geschichte der Familie Merkel 1912-1919

Abschnitt 45: Brief Otto Merkels an seine Familie aus Konskie

[128/129] Hier ein Brief, welcher eingeklebt war1,

„Konskie, Russ. Polen d. 25/10. 14

Meine liebe Marie, liebe Erna u. lieber Erich! Wieder ist es Sonntag u. noch sind wir getrennt u. wer weiß, wie lange das noch dauern wird. General v. Hindenburg, der gegenwärtig hier in der Stadt ist, hat zwar einigen von unseren Leuten versprochen, Weihnachten würden sie wieder zuhause sein; aber ich glaube noch nicht dran.

Gestern abend haben wir wieder einige Postsachen bekommen. Für mich waren Zeitungen und ein Brief von Gustav in Köln dabei u. ein Päckchen von dir, m. l. Marie mit 2 Tafeln Schokolade, die wir sofort verzehrt haben. Hzl. Dank dafür. Sonntags jedes mal einen Brief. Du kannst dann immer denken: Jetzt sitzt Otto auch am Schreiben. Ich schreibe, wenn es irgend möglich, täglich, Sonntags aber immer einen Brief, wenn wir nicht auf dem Marsch sind. Hier in Konskie sind wir seit Mittwoch u. liegen in einer Schule. Wo wir unsere Schreibstube haben, ist die Wohnung einer Lehrerin gewesen.

In Konskie ist seit Donnerstag auch das große Armee – Oberkommando der IX. Armee. Heute morgen haben wir in einem Birkenwäldchen am hiesigen Bahnhof Feldgottesdienst gehalten, u. bei diesem Gottesdienst predigte wieder unser Kriegsfreiwilliger Reich aus unserer Kompagnie. Was diesem Gottesdienst aber besondere Wichtigkeit verlieh, war, dass dabei zugegen waren; General v. Hindenburg u. Prinz Joachim v. Preußen, der Sohn unseres Kaisers u. etwa 20 hohe Offiziere des Oberkommandos. Der junge Prediger wurde sofort zum Gefreiten befördert.

Wenn es dich interessiert, will ich dir übrigens mitteilen, dass auch meine Beförderung zum Gefreiten auf dem Bataillonsbüro liegt und nur noch auf die Unterschrift des Majors wartet. Wie Gustav schrieb, hat er von Hugo u. Edwin auch aus den letzten Tagen gute Nachrichten.

Wie geht es euch denn? Seid ihr noch alle drei gesund? Schone dich nur, so viel es geht u. halte den Kindern die Füße warm u. trocken. Ich selbst bin nach wie vor wohlauf u. habe bloß mein Koppel jetzt ein bißchen enger schnallen müssen. Seit wir von Guntersblum weg sind, habe ich nur ein einzigmal die Hosen ausbekommen beim Schlafen, das war in Wodzislaw vor 3 Wochen. Aber man gewöhnt sich so daran, dass ich diese Mode wahrscheinlich zuhause fortführen werde. Mein Bart ist jetzt so lang, dass ich ihn in 2 Spitzen drehe. Du wirst mich nicht wieder erkennen.

Wenn du mir etwas Praktisches schicken willst, so schicke mir Hosenträger. Die meinigen gehen ihrem Zweck entgegen. Geld brauche ich keins. Ich bekomme pro Tag 53 Pf ? Und mehr brauche ich nicht. Ich habe gegenwärtig noch 5 M. in der Tasche u. am 1. Nov. Gibt es schon wieder 5,30 M. oder wenn ich befördert werde, 5,80 M. auch bekommen wir dieser Tage noch etwa 9 M. Stiefelgeld u. kann ich dir dann noch Geld schicken. Anbei noch einige Marken für die Kinder u. für dich ein allerliebstes Kärtchen, was ich hier fand. Ich lege ab und zu so allerhand Andenken in die Briefe, hebe dieselben alle auf. Eine Karte vom Kriegsschauplatz brauchst du nicht mehr zu schicken, wenn du noch keine abgeschickt hast. Ich habe mir in Kielce eine gekauft für 1,50 M.

Bitte Herrn Direktor, dass er mir mal mitteilen möge, wie es in der Schule geht. Sind die Kärtchen an die 3 Klassen angekommen? Die Herbstferien werden nun sein. Wie war Ernas Zeugnis? U. Erich? Seid nur recht brav und fleißig, auch wenn ich nicht da bin, ja deshalb erst recht. Ich bringe euch auch etwas Schönes mit.

Gestern Vormittag haben wir den ersten Kanonendonner gehört. Vorläufig haben wir aber noch keine Aussicht, ins Gefecht zu kommen. Unser Bataillon stellt nur Wachtkommandos. Die Eisenbahn ist hier unbrauchbar. Alle Weichen sind durch Bomben zerstört. Der Wasserturm ist gesprengt und nur noch ein Trümmerhaufen u. dgl. Doch von diesen Seiten des Krieges will ich dir lieber nicht so viel erzählen, sonst machst du dir unnötig Gedanken.

Seid nun alle drei, meine Lieben herzlich gegrüßt u. geküßt von eurem Papa.

Hzl. Grüße an alle Bekannten, namentlich die Kollegen und Kolleginnen. Grüße besonders die Familien Jakobi und Grävenstein “


  1. Der Brief ist zwischen S. 128 und S. 129 eingeklebt.

Sachbegriffe: Feldpost · Feldpostbriefe
Empfohlene Zitierweise: „Otto Merkel, Geschichte der Familie Merkel 1912-1919, Abschnitt 2: Brief Otto Merkels an seine Familie aus Konskie“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/5-45> (aufgerufen am 26.04.2024)