Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Otto Merkel, Geschichte der Familie Merkel 1912-1919

Abschnitt 43: Weiterer Vormarsch bis Konskie

[128-129] In Mniow fuhr die Bagage auf den freien Platz mitten im Dorf auf, und mir ? viermal die Reihe mit 5 anderen Kameraden nächtliche Bagagewachen zu halten. Das Wachtlokal, d.h. Schlaflokal für die 4 nicht aufgezogenen Posten war ein kleines polnisches Häuschen neben dem Bagageplatz. In der einen Ecke stand das Ehebett, wo das Pärchen vollständig angekleidet, er mit dem Kopf nach oben, sie nach unten, lagen. Daneben stand noch ein Bett für die Kinder, aus dem abends nach allen Seiten die Beine heraushingen, und zwischen beiden Betten stand eine Wiege mit dem Jüngsten. Das 11. Kind, wie der Mann sagte, wurde bereits erwartet.

Mitten im Zimmer hatten wir ein Strohlager, auf dem wir uns ausgestreckt hatten. Eine Luft herrschte in dem Raum, dass man sie schneiden konnte. Wir waren froh, dass wir alle 4 Stunden hinaus mußten an die frische Luft. Als ich meine Mitternachtsnummer mit dem kleinen Ditthardt aus Scheld abwechselte, bemerkte ich auf einmal hinter einem der Wagen eine dunkle Gestalt. Auf dem Wagen war noch ein halbes Rind; also galt es aufpassen. Ich schlich mich, mit der einen Hand das schießbereite Gewehr, mit der anderen einen Revolver haltend um die Ecke und stand einem großen Hund, der auf das Fleisch spekulierte. Er nahm Reißaus; ich jagte ihm eine Revolverkugel nach, glaubte ihn auch getroffen zu haben, doch es war eine Täuschung; wenigstens fand sich am Morgen nirgends ein toter Hund. Der Schuß war trotz des fürchterlichen Echos von niemand gehört worden als von dem Feldwebel, der natürlich um acht am andern Morgen sofort Aufschluß haben wollte.

Der folgende Tag führte fast dauernd durch Wald, an einem großen industriellen Werk mit einem großen Stauweiher vorbei und schließlich über die weite Ebene am Abend nach Konskie, einem Städtchen von 7000 Einwohnern und nicht so städtisch wie Kielce. Hier fanden wir Quartier in einem Schulhaus. Von den Lehrpersonen war nur ein verheirateter Lehrer geblieben, der im Haus wohnte und nun auch mit Argusaugen darüber wachte, dass nichts unnötig zerstört oder gar mitgenommen wurde. Unsere Schreibstube war ein Zimmer einer [S. 129] Lehrerin, die alles zurück gelassen hatte und die Flucht ergriffen hatte. In ihrer Küche kochte jetzt Heßler und in ihrem Schlafzimmer lagen wir der Reihe nach auf Stroh.

In Kielce hatten wir endlich Post bekommen und zwar 2 mal. Und hier erhalten wir wieder einige Säcke voll. Brief und Karten von zuhause und den Verwandten und Bekannten u. Schülerinnen, Liebesgaben aller Art. Ich hatte ganze Arme voll, da sich unsere Post von Wochen aufgestapelt hatte, und doch bekamen wir nicht alles, denn in Kielce mußte einige Tage später, als der große Rückzug begann, ganze Eisenbahnwagen voll Postsäcke verbrannt (werden), weil sie nicht mehr ausgeteilt und auch nicht mehr zurückgeschafft werden konnten, aber auch den Russen nicht in die Hände fallen sollten.


Empfohlene Zitierweise: „Otto Merkel, Geschichte der Familie Merkel 1912-1919, Abschnitt 43: Weiterer Vormarsch bis Konskie“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/5-43> (aufgerufen am 05.05.2024)