Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Otto Merkel, Geschichte der Familie Merkel 1912-1919

Abschnitt 41: Brief vom 11. Oktober 1914 nach Hause

[125-127] Bei Viehkauf, den der Feldwebel selbst vornahm, brauchte er einen Dolmetscher, als solcher fungierte der Muskatier Matoschyk, der in der Gegend von Kattowitz zuhause war. Das gekaufte Vieh wurde durch Kleft erschossen mit aus alten Armeepistolen. Hier in Checiny bin ich in meinem Leben zum erstenmal u. letztenmal auf der Jagd gewesen. Amend und ich nahmen eines Tages unsere Gewehre auf die Schulter und pilgerten über die Felder und durch die Wälder in der Hoffnung, ein jagdbares Wild abzuschießen und wenn wir Glück hätten, unserem Speisezettel etwas Abwechslung zu verschaffen. Doch vergebens, wir fanden nicht das Geringste. Doch hatten wir wenigstens einen schönen Spaziergang gemacht.

Der Anschaulichkeit halber sei hier ein Brief wiedergegeben, den ich am Sonntag, d. 11. Okt. nachhause schrieb:

“ Heute ist der 4. Sonntag, den ich fern von Euch halte. Einen haben wir in Guntersblum verbracht, den zweiten waren wir in Mainz eingesperrt, am vorigen Sonntag hatten wir Marschtag von Miechow nach Wodzislaw, und heute sitzen wir hier auf Bahnhof Checiny. Gestern Nachmittag war ich mit einem Kameraden auf der Jagd, und wir haben – nichts geschossen. Dann habe ich von 6-8 Posten gestanden in unserem Hof, damit unsere Bagagewagen mit Brot und sonstigen Lebensmitteln nicht gestohlen werden; ferner war ein lebendiges und ein geschlachtetes Schwein zu bewachen. Du siehst schon, dass wir nicht schlecht leben. Von 8-2 habe ich mich aufs Stroh gelegt und geschlafen, von 2-4 wieder Posten gestanden und von 4-6 wieder geschlafen. Um 6 Uhr war Aufstehen, dann Waschen, Stubenreinigen, Kartoffelschälen, ein bisschen Schreiben, Zigarettenrauchen und Essen.

Unser Mittagessen bestand aus Gulasch, Kartoffel und Sauce. Als Nachtisch haben wir noch ein Stück Schweinebraten vom Offiziertisch gegessen. Gestern mittag hatten wir Erbsensuppe und gebratenen Hecht. Vorgestern abend gab`s Gänsbraten. Glaubst du nun, dass wir nicht zu verderben brauchen. Die Aufmachung läßt natürlich zu wünschen übrig.

Es wird dich vielleicht interessieren, wenn ich dir unser Schreib – und Schlafzimmer ein wenig beschreibe. Ich trete ein durch die Türe. Links an der Wand hängt die Mütze, vorn [S. 126] kommt ein Fenster. Auf der Fensterbank steht eine Radfahrerlaterne, ein Topf (mit) ausgelassenem Schweineschmalz, eine Kaffeemühle, ein Helm und zwei Blumenstöcke. Die eine Scheibe ist durch ein Blatt Papier verklebt. Daneben gleich noch ein Fenster. Auf der Fensterbank ein paar Krautblätter, eine Schüssel voll Blut, ein Helm und 2 Trinkbecher. Zwischen den Fenstern steht am Boden eine Kiste mit Feldwebels Gepäck. In der Ecke steht eine Zimmerlinde. Daneben liegen am Boden 2 Paar Stiefel, eine Schuhbürste und Fettdose und 2 Säcke. Daneben steht ein Kasten mit Handwerkszeug und an der Wand hängen ein Kessel, Patronentaschen und Brotbeutel, sowie ein Wandkalender. Darunter steht am Boden ein Eimer voll Därme und eine Kiste mit Akten.

Die 3. Seite wird von einem großen Büffetschrank mit dazu gehöriger Theke eingenommen. Die einzelne Schubladen und Schrankfächer sind bei beiden gewaltsam erbrochen, doch ist nichts mehr darin als leere Flaschen, Stopfen, Tornister, Kochgeschirre, Tinte, Feder, Papier, Brot, Leim und tausend andere Dinge. Auf der Theke liegen Schweine – und Kalbfleisch, Knochen und Handwerkerzeug zum Schlachten.

Die 4. Seite nimmt ein Tisch ein, an welchem ich diesen Brief schreibe. An der Wand hängen Mäntel, Mützen, Pfeifen und in der Ecke stehen Säbel und Gewehre. Zwischen Tisch und Ecke steht ein großer Porzellankamin, davor ein Haufen Holz aus Eisenbahnschwellen. Der Boden des Zimmers ist – beinahe sauber, wird jeden morgen mit einem Reiserbesen gekehrt.

Nun durch die Mitteltüre ins Schlafzimmer. Links liegt eine große Schütte Stroh, auf welcher 8 Mann in Reih und Glied schlafen müssen. Als Kopfkissen dient der Tornister, als Decke der Mantel. An der Wand hängen Koppel, Waffen, Helme u.dgl.. Auf dem Boden stehen Fahrräder, Stiefel, Eimer und Töpfe. Vor dem Fenster stehen eine Büchse Gänsefett, ein Kochgeschirr, ein Topf mit Kartoffeln u. 2 Blechteller. Darüber hängt ein Brotbeutel. In der Ecke ist ein großer Porzellanherd, auf welchem Heßler die Mahlzeiten für Offiziere und Unteroffiziere (und uns) herstellt. Für die übrigen Mannschaften wird auf dem Hofe in einem großen Kessel gekocht.

Unserer Kantine gegenüber ist ein Kramladen, in welchem sich ein Haufen Weiber von unbestimmter Qualität aufhält. Ich habe deshalb bis jetzt vermieden, das Haus zu betreten.

So, nun kannst du dir ungefähr vorstellen, wie wir hier hausen. Meine angeborene Fähigkeit, mich in alle Verhältnisse leicht zu schicken, kommt mir hier gut zustatten. Hier herrscht meist ein heftiger Wind, was an der offenen Lage des Landes liegt. Außer dem Wachtdienst ist die Ernährung der Mannschaften die einzige Sorge den ganzen Tag, da man hier gar nichts zu essen kaufen kann, [S. 127] ausgenommen Fleisch.

Angenehm ist, dass fast nur Landsleute in der Kompagnie sind. Aus Dillenburg haben wir: Kraus, Offiziersbursche, Schorn, Pferdebursche, Mayer, Kutscher, Ansel, Reitmeyer, Thies, Stunz, Kann, Keiner, Ziegler (wegen seiner Lebensmittelkenntnisse auf dem Zahlmeisterbüro beschäftigt, Balzer Rodis, und ich glaube noch andere, die ich nicht kenne. In einer anderen Kompagnie sind noch Krämer, Schneider und Krimmel von Herborn.

Heute bekommen wir hier die Nachricht, dass Italien an Frankreich, Amerika an England und die Türkei an Russland den Krieg erklärt hätte. Ob wohl wahr ist? Die Feldpost funktioniert hier sehr schlecht. Seit Erfurt habe ich keine Post mehr bekommen“


Sachbegriffe: Feldpost · Feldpostbriefe
Empfohlene Zitierweise: „Otto Merkel, Geschichte der Familie Merkel 1912-1919, Abschnitt 1: Brief vom 11. Oktober 1914 nach Hause“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/5-41> (aufgerufen am 25.04.2024)