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Prozessbeginn im Hanauer Atomskandal, 6. Februar 1991

Vor der 5. Großen Wirtschaftsstrafkammer im Hanauer Landgericht beginnt der Prozess gegen vier ehemals leitende Mitarbeiter des mittlerweile aufgelösten Unternehmens Transnuklear Hanau (TNH) im bislang größten deutschen Atomskandal. Den Angeklagten wird vorgeworfen, in erheblichem Maße gegen strafrechtlich relevante Vorschriften über den Umgang mit radioaktiven Abfällen verstoßen zu haben. Zugleich hätten die Beschuldigten „ihren Auftraggebern vorgespiegelt, sie, die Auftraggeber, hätten die Vorschriften des Atomgesetzes über den Umgang mit radioaktiven Abfällen korrekt erfüllt.“ Die Auftraggeber hätten dabei erhebliche Vermögensnachteile erlitten, da die bezahlten Entsorgungsleistungen in Wirklichkeit nicht ausgeführt wurden. Die von deutschen Atomkraftwerksbetreibern und nuklearen Forschungseinrichtungen erhaltenen Millionen-Beträge für die Entsorgung von schwach radioaktivem Müll seien kassiert worden, ohne die vertraglich zugesagte Entsorgung im belgischen Atomforschungszentrum Mol auch tatsächlich vorzunehmen. Stattdessen wurden die radioaktiv belasteten Abfälle ins Meer geschüttet oder auf dem Gelände in Mol gelagert. Mitarbeiter des Unternehmens hätten im vollen Wissen um den unkorrekten Umgang mit dem Atommüll Aufträge erteilt. Aus eigens zu diesem Zwecke angelegten „schwarzen Kassen“ habe man Schmiergeld an Mitarbeiter von Kernkraftwerken gezahlt, um sich Aufträge zu sichern.

Der zum Kerntechnikunternehmen NUKEM gehörende deutsche Unternehmensteil der Transnuklear-Gruppe war für den Transport und die Lagerung aller radioaktiven Stoffe sowie für die Entwicklung entsprechender Behälter zuständig. Seit März 1987 war es in mehreren Etappen zur Enthüllung teils haarsträubender Unregelmäßigkeiten in der Abteilung „Radioaktive Abfälle“ bei Transnuklear gekommen, in die auch die Muttergesellschaft NUKEM verstrickt war. Die in den Jahren 1987 und 1988 bekannt gewordenen Praktiken der Transnuklear hatten schließlich unmittelbar Anlass zu einer Neuordnung der gesamten deutschen Atomindustrie gegeben.

Angeklagte des Prozesses sind der ehemals für die Abfalltransport bei Transnuklear zuständige Abteilungsleiter Wilhelm Brethag sowie Geschäftsführer Peter Vygen, der Chemiker Bernhard Christ und Hans-Günther Knackstedt, der wie Brethag als Abteilungsleiter in der Hauptabteilung Abfallbeseitigung des Unternehmens arbeitete und die „schwarzen Kassen“ angelegt haben soll, indem er mit Scheinaufträgen Gelder der Firma veruntreut hat (nach Auskunft der Staatsanwaltschaft mindestens fünf Millionen DM). Das Verfahren gegen fünf weitere in den Atommüllskandal verwickelte Personen war nach zweijährigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die Zahlung von Geldbeträgen zwischen 40.000 und 50.000 DM eingestellt worden. Für den Prozess sind insgesamt 37 Verhandlungstage angesetzt.
(KU)

Belege
Empfohlene Zitierweise
„Prozessbeginn im Hanauer Atomskandal, 6. Februar 1991“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/1596> (Stand: 26.11.2022)
Ereignisse im Januar 1991 | Februar 1991 | März 1991
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