Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Wilhelm Weidemann, Aus dem Tagebuche eines Kasseler Kriegsfreiwilligen, 1914

Abschnitt 22: Kämpfe bei Poelcapelle

[329-330]
Fußartillerie-Landwehrleute gaben uns beiden bei ihrer Feldküche ein stärkendes Mittagessen in üblicher Kameradschaft und dann machten wir uns entschlossen nach vorn. Immer häufiger platzten die Schrapnells links und rechts über uns, so daß es uns keineswegs allzu wohl war: aber wir wollten vorwärts! Ganze Karren voll Verwundeter kamen an uns vorüber, alles flutete zurück und riet uns, ebenso zu tun; denn wir waren die einzigen, die auf dieser Straße vorwärts gingen. Dicht vor einem Dorf (— ich glaube Poelcapelle? —) hatte sich rechts von der Straße im Gesträuch eine schwere Mörserbatterie verschanzt. Mit Recht glaubten wir das Gelände vor ihr als nicht verloren ansehen zu dürfen. Kaum waren wir in dem Ort, als ein mächtiges Granat- und Schrapnellfeuer hereinbrach, daß die Ziegeln auf die Straße geschleudert wurden und krachend die schwachen Häuser zusammenbrachen. Zufällig trafen wir in dem fast leeren Dorfe einen Ordonnanzoffizier, der uns genau angeben konnte, in welcher Richtung unser Regiment lag. Kaum waren wir auf der rechten Straße draußen vor dem Ort und sprachen zwei Worte mit einem Trupp Leichtverwundeter, als plötzlich ein Schrapnell und gleich darauf noch mehrere dicht bei uns platzten und ihre Sprengkugeln auf uns schleuderten. Drei, vier markige Aufschreie! Es hatte getroffen in unserm Trupp. ... Was laufen konnte, rannte zum Dorf. Wir beiden und drei Jäger vom ... ten Bataillon sprangen über den Straßengraben zu drei großen Strohhaufen und schmiegten uns Deckung suchend eng an! Kaum, daß wir's getan, ging's wie wild los: Schrapnell platzte auf Schrapnell; und die meisten gar nicht weit, eins unmittelbar über uns, daß die Bleikugeln an den Strohhügeln abliefen wie Regentropfen. Wem dies Feuer galt, merkten [S. 330] wir bald, als drüben die schwere Artillerie, an der wir vorüber gegangen waren, zu antworten begann. Schuß um Schuß, langsam und ruhig, ward von der abgegeben. Wir sahen vor uns jedesmal die Feuergarbe aus dem Rohr schlagen und dann das Geschoß sausend über uns weg zum Feinde surren. Doch der Feind antwortete doppelt heftig und diesmal mit Granaten. Nun wurde uns fünf unter dem Strohhaufen die Sache doch etwas ungemütlich; zum Glück platzten die Granaten weiter ab von uns, allerdings immer noch viel zu kurz, als daß sie unserer Artillerie hätten schaden können. — Das aber ist nun Menschenart, daß er sich schnell an alles gewöhnt, nicht zuletzt ans Granatfeuer. Und so sahen wir ganz interessiert zu, wie die Bomben krepierten und rings den Boden aufwühlend in dicken Wolken graugrüner Gase Erde und Sprengstücke umherwarfen, wie die Zünder der Schrapnells mit eigenem Ton nachzischten und mit ungeheuerer Wucht auf die Straße aufschlugen, daß sie baumhoch in die Höhe sprangen. ... Schließlich haben wir in aller Ruhe unsere Gewehre gereinigt, bis endlich nach mehr als zwei Stunden die Kanonade nachließ und wir in die schon einsetzende Dämmerung unsern Weitermarsch antraten.

Es dauerte auch gar nicht lange, so trafen wir auf einen Posten von den Jägern, der hier als Verbindungsmann mit ändern in langer Kette den Anschluß an Regiment ... herstellte. Also endlich dem Ziel nahe! Längs der Postenkette, deren Leute auf Rufweite von einander entfernt sich eingegraben hatten, hinschleichend, kamen wir in der ersten Dunkelheit zu unserm zweiten Bataillon. Bei der nächsten Kompagnie, die gleich den übrigen in Alarmstellung lag, stellten wir beiden uns vor und der Offizier riet uns, die Nacht über seiner Kompagnie zuzugehören, da unser Bataillon jenseits eines Wäldchens läge, das zu durchqueren nicht ungefährlich sei insofern, als schon oft bei Nacht Patrouillen von unsern eigenen Leuten beschossen seien. So blieben wir denn die Nacht bei unserm zweiten Bataillon und legten uns, so gut es ging, in den feuchtkalten Straßengraben. Ein eisiger Wind, der in Stößen umherfuhr, ließ uns nur schlecht zur Ruhe kommen. Sch. fror, daß ihm die Zähne klapperten und ich konnte mich, trotzdem ich mich ganz dem Bilde des rings brennenden Horizontes hingab, auch nicht über die Kälte wegtäuschen. Die ganze Nacht über dröhnte der Geschützkampf und das Infanteriefeuer kam in solcher Heftigkeit uns nahe, daß zwei Kompagnien der Sicherheit wegen nach links geschoben wurden zu den Jägern.


Personen: Weidemann, Wilhelm
Orte: Poelcapelle
Sachbegriffe: Fußartillerie · Landwehrmänner · Feldküchen · Schrapnells · Verwundete · Mörser · Granaten · Granatfeuer · Gewehre · Infanterie
Empfohlene Zitierweise: „Wilhelm Weidemann, Aus dem Tagebuche eines Kasseler Kriegsfreiwilligen, 1914, Abschnitt 20: Kämpfe bei Poelcapelle“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/138-22> (aufgerufen am 07.05.2024)