Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Wilhelm Weidemann, Aus dem Tagebuche eines Kasseler Kriegsfreiwilligen, 1914

Abschnitt 25: Rückzug nach den Kämpfen, gefangene Engländer

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Am andern Morgen, den 24. Oktober, suchten wir wieder Anschluß zu gewinnen, als wir in einem Gehöft auf eine Schwadron Jäger zu Pferde stießen. Wir trugen dem Führer unsern Wunsch vor und er riet uns, zunächst bei seiner Truppe zu bleiben, bis er genau wisse, wohin wir uns wenden müßten. So blieben wir denn in dem Gehöft und taten uns gütlich, wie's nur irgend ging und tauschten mit den Reitern unsere Erlebnisse aus, die auch von manchem kühnen Stücklein zu berichten wußten. Während ich mir wie auch die andern ein Huhn schlachtete und rupfte, erzählte einer von jenen, der dabei war, seinem prächtigen Pferde einige Streifwunden zu verbinden, von diesem Stückchen. War auf Patrouille, als auf einmal vor ihm eine englische in Stärke von zwei Mann und einem Offizier auftauchte. Sofort habe er sein Roß herumgeworfen und schleunigen Rückzug angetreten, denn jene hatten ihn schon gesehen. Statt nun aber hinter ihm drein zu schießen, sei plötzlich der Offizier ihm nachgesprengt gekommen — was weiß ich warum — und sei ihm, dank des guten Renners, bald dicht auf den Fersen gewesen, während seine Begleiter weit zurückblieben. Was tun: Plötzlich sein Pferd herum und auf den Offizier los und ehe der sich's versehen, habe er ihn vom Pferde gestochen. Flugs ihm den prächtigen Degen samt Scheide genommen und sich auf des Engländers Roß geschwungen. Alles in wenigen Augenblicken! Und dann weiter, dabei hatten dann die beiden Engländer ihm noch einige Kugeln nachgejagt, die nur sein neues Roß gestreift. ... Und sorgsam verband er jetzt dessen Wunden — ein prächtiges Tier — und zeigte uns stolz die feine Klinge mit der englischen Widmung. ...

Wir andern bereiteten uns jeder sorgsam sein Mahl; denn lange schon hatten wir nichts Warmes mehr genossen. So habe auch ich mir Kartoffeln, die ich im nahen Felde fand, im Feuer gebraten, über dem auf zwei Gabeln mein Kochgeschirr mit dem schmorenden Hähnchen darinnen hing: das hat ein treffliches Essen gegeben! Haben uns draus wie die Kavalleristen ins Stroh gelegt und, während rings in den Wäldern Granaten platzten, Briefe an die Lieben daheim geschrieben. Plötzlich fällt in unserer unmittelbaren Nähe ein Schuß; betroffen springen wir aus, aber so fleißig wir auch suchen, wir können nichts von dem unsichtbaren Schützen entdecken.

Am Spätnachmittage machte sich die Schwadron zum Abrücken fertig, der wir folgen sollten. So geschah's denn auch. Aber in dem waldigen Landstrich waren uns bald die Reiter entschwunden; zumal sie sich in Trab setzten. Auf gut Glück marschierten wir weiter, wir würden wohl schon irgendwo hin kommen. Eigenartig war uns doch zu Mute: Herbstnebel feucht und schwer und der Abend nicht ferne; tiefe Stille rings im Forst, nur daß ab und zu ein Tropfen vom Baume klatschend ins Laub fällt. Sonst Schweigen des Herbstes, unheimliches ... und wir gehen die Waldstraße, unbekannt umhin. ... Da biegt um die Waldecke vor uns ein großer Trupp Engländer. Ein Sprung in den Straßengraben, jene zu empfangen! Jetz [!] erst merken wir, daß unsere Gegner keine Waffen tragen, sie sind gefangen und zum Teil sogar gefesselt, und hinter ihnen kommt die schwache Bedeckung von fünf Musketieren. Also keine Sorge! Wir lassen die Kerle vorüber, ohne ihnen unsere Stimmung zu verhehlen; um so herzlicher ist das Wort an die bewachenden Kameraden, die uns zugleich den Weg weisen. Sind hohe elastische Gestalten, die Engländer, wie sie der Sport formt und bildet; schöne Blondköpfe darunter, doch auch manche Verbrechermiene. Alle in gute, zweckmäßige Uniform gekleidet; wie lumpig sahen dagegen die Franzosen aus, die ich vor wenigen Tagen gefangen sah in ihren abgetragenen Blauröcken und den verblichenen Rothosen! Ich glaube, daß die englische Schutzuniform der unserigen nichts nachgibt.


Personen: Weidemann, Wilhelm
Orte: Poelcapelle
Sachbegriffe: Erste Flandernschlacht · Jäger · Pferde · Jäger zu Pferde · Nahkampf · Degen · Engländer · Kavalleristen · Kartoffeln · Granaten · Feldpost · Briefschreiben · Kriegsgefangene · Musketiere · Uniformen
Empfohlene Zitierweise: „Wilhelm Weidemann, Aus dem Tagebuche eines Kasseler Kriegsfreiwilligen, 1914, Abschnitt 25: Rückzug nach den Kämpfen, gefangene Engländer“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/138-25> (aufgerufen am 17.05.2024)