Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

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Abbildungen

↑ Wilhelm Weidemann, Aus dem Tagebuche eines Kasseler Kriegsfreiwilligen, 1914

Abschnitt 26: Besuch in einem flämischen Herrenhaus

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Weiter des Wegs hielt eine Artilleriemunitionskolonne. Als wir vorüber wollten, hielt uns der [S. 345] Führer an und forderte uns auf, diese Nacht als Bedeckung bei seiner Kolonne zu bleiben. Als wir erklärten, wir müßten zu unserer Kompagnie, versprach er uns, ein Schreiben mitzugeben, das unsere Abwesenheit erklären solle. So blieben wir diese Nacht als Bedeckung der Artilleriemunitionskolonne. Nicht weit von unserm Halteplatz war ein verlassener Herrensitz, zu dem wir gingen, um uns aus den Scheuern Stroh für die Nacht zu besorgen. Bei der Gelegenheit konnte ich nicht unterlassen, das Wohnhaus zu betreten, das nur leicht von einer Granate beschädigt war. Durch den schönen Ziergarten, in dem nun wild herum zerbrochene Ziegeln lagen, stieg ich eine breite Freitreppe hinaus. Die Zimmer des Unterstocks, alle prächtig ausgestattet, zeigten die Spuren eines plötzlichen gewaltsamen Verlassens und Ausbruchs. Umgestürzte Stühle und Sessel, im Speisezimmer eine eben verlassene Tafel, halbgefüllte Schüsseln und Weinflaschen dabei und wenig geleerte Gläser. Ein wuchtiges Rauchzimmer mit schweren flämischen Möbeln, wie überhaupt die gesamte Ausstattung von feinster Art war. Ich stieg in den oberen Stock und kam in das Arbeitszimmer und die Bibliothek des Hausherrn. Auf dem Schreibtisch eine Menge von Schriftstücken, die zu lesen es schon zu düster war und für mich kaum Interesse hatten; nur einiges Schreibpapier habe ich eingesteckt. Dann die Hausbibliothek! Leider war dieser Teil des Zimmers wie auch das angrenzende stark beschädigt; so lagen denn die Werke zum großen Teil auf der Erde wirr durcheinander: Prächtig gebundene Sachen. Ich hob einen Band auf: Lafontaine, und merkwürdigerweise schlug ich gerade die bekannte Fabel von der Stadt- und Landmaus auf. Zum größeren Teile bestand die Bibliothek aus technischen Werken und solchen verwandten Charakters. ... Ich trat ins nächste Zimmer: ein Musikzimmer, wie ich an den herumgewirbelten Notenblättern merkte; aber das Instrument war weggeschafft. Reichhaltigster Notenbestand, ganze Ausgaben, und unsere deutschen Meister waren von Bach über Haydn, Mozart, Beethoven, bis zu Wagner und selbst Strauß und Reger vollzählig vertreten. Daneben viele französische Meister, Opernauszüge und Gesangsliteratur. ... Lange, lange habe ich in diesem Raum geweilt und sinnend in den Noten geblättert, dieweil mein Geist so ganz anders wo weilte.

Weiter ging ich: ein Mädchenheiligtum! Auf zierlichem Tischchen und rings an den Wänden eine Menge Photographie: Freundinnen aus dem Pensionat, schwarzlockig die meisten, kokett, wie nur französisches Blut sein kann. So muß auch die gewesen sein, die sonst hier geträumt und auf jenem weichen Lager sich gedehnt und gesehnt. ... Nur einen Augenblick kam mir die Szene in den Sinn, wo Faust in Gretchens stille Mädchenkammer tritt und alles ihm so eigen wird . . . nur einen Augenblick! Hier hat kein blondes Gretchen abends im fahlen Mondlicht ihre schweren langen Zöpfe gelöst. ... Ein Spiegeltischchen und alles darauf, was dazu gehört, um raffinierte Toilette zu machen. Was wird die holde Schöne dagegen gehabt haben, daß ich mich mit ihrer Rosenduftseife gewaschen habe und sogar so eitel war, meinen feldgrauen Rock mit ihrem feinen Parfüm zu besprengen ...? Neben der Tür zwei Tennisschläger und ein geknickter Rosenhut. ... Geknickte Rosen ... und draußen webte der Herbst und leise tanzte Blatt auf Blatt im müden Reihn zur Erde. ... Dumpf dröhnte irgendwo in der Ferne ein Kanonenschuß, und wieder ging's mir durch den Sinn, als ich die Freitreppe abstieg: „Das ist der Krieg ..."
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