Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Wilhelm Weidemann, Aus dem Tagebuche eines Kasseler Kriegsfreiwilligen, 1914

Abschnitt 24: Schwere Verluste in der Ersten Flandernschlacht

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Vor uns einer von den das ganze Land durchziehenden Wassergräben. Mit kühnem Sprung wird er genommen; nicht allen gelingt's. Die jenseitige Höhe hinauf, durch ein dickblättriges Rübenfeld, dann freies Feld, ein Kartoffel- und Kleeacker, vor uns ein Gehöft. Kaum sehen wir's so, als ein Feuer anhebt, wie es sich schrecklicher nicht gedacht werden kann. An dem Gehöft ein flankierender Schützengraben ist eine feuerspeiende Schlange ... aus den Häusern und Gärten des Vordorfes werden wir überschüttet, von links setzt Maschinengewehrfeuer ein. Wie Schneeflocken surren die Kugeln um uns umher und klatschen und knallen. Wir erwidern, so gut es geht. Machen noch einen Sprung: die Hälfte bricht zusammen! Ohne Deckung! Wir versuchen uns etwas einzugraben. Immer mörderischer wird das Feuer....

Da sind sie gefallen, meine lieben Kameraden, rechts und links von mir ein Aufschrei, ein dumpfes Gurgeln ... ein hoher Blutstrahl, der heiß sich auf den Nebenmann ergießt. ... Wir können uns nicht halten! „Ruhe Leute, Ruhe"! .... unser Hauptmann steht aufrecht in diesem Höllenkessel: „Ruhig jetzt zurückgehen!" ... Kaum merkt's der Gegner und er verdoppelt sein Feuer, zugleich überschüttet uns Artillerie mit Granaten und Schrapnells. Furchtbar, ein Rückzug! Was haben wir dabei an Leuten verloren! ... Und nun die Verwundeten und Schreiendem „Nehmt uns mit!" Haben uns geschleppt mit denen. Ich trug einen mit Hilfe eines Kameraden, der hatte einen Schuß in den Rücken und war völlig gelähmt ... er starb uns unter den Händen. O, der Jammer und das fürchterliche Grauen. Blut und Leichen und Sterbende und Röchelnde. Und welche, die still und friedlich daliegen, fast lächelnd. ... Zurück durch das Wäldchen; war das ein Gefühl, die brechenden Zweige und die Kugeln, wie sie an die Stämme klatschten. ... Wie ich so vorn in der Feuerlinie gelegen wohl zwei Stunden lang, da habe ich abgeschlossen gehabt mit dem Leben; jetzt, jetzt muß es dich treffen. Und über mir der blaue Himmel und die Sonne des Mittags im strahlenden [S. 344] Licht ... und da bin ich ganz ruhig geworden und habe an Euch Lieben daheim gedacht, wie Ihr wohl eben um den Mittagstisch sitzt ... und ob Ihr wohl ahnt, wo ich mich befinde. Grausen dann wieder: neben mir ist einer zu Tode getroffen! ...

Zurück! Wer schießen konnte, hat gegen die nachdrängenden Feinde gehalten und in der Tat haben die uns nicht zu verfolgen gewagt. So haben wir immer wieder im ärgsten Schrapnell- und Granatfeuer gehalten, daß wir an Verwundeten mit nehmen konnten was irgend ging. O, die Ver-wundeten: wer kann die Bilder beschreiben, so furchtbar und schrecklich zu sehen. Da bringen sie in einer Zeltbahn den sterbenden Hauptmann von der zweiten Kompagnie: heute morgen noch glaubte er, es werde heute nichts geben ... und am Abend tot!... und alle die andern, zum Teil so fürchterlich entstellt, besonders die am Kopf Verwundeten, daß wir sie beim ersten Anblick nicht erkennen....

Beim Zurückgehen sind wir dann, ungefähr 10 Mann, von dem Haupttrupp abgekommen.

Schließlich kamen wir an einen alten Schützengraben, und weil es schon Nacht war, beschlossen wir, in ihm zu bleiben. Stellten Wache auf und schliefen bald tief ein, nachdem wir unsern Körper mit einem Schluck Wasser und einem Stück Brot befriedigt hatten.


Personen: Weidemann, Wilhelm
Orte: Poelcapelle
Sachbegriffe: Erste Flandernschlacht · Gefallene · Artillerie · Infanterie · Granaten · Verwundete · Leichen · Schrapnells · Schützengräben
Empfohlene Zitierweise: „Wilhelm Weidemann, Aus dem Tagebuche eines Kasseler Kriegsfreiwilligen, 1914, Abschnitt 12: Schwere Verluste in der Ersten Flandernschlacht“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/138-24> (aufgerufen am 01.05.2024)