Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Eugen Korschelt, Erinnerungen des Marburger Zoologen und Rektors, 1914-1919

Abschnitt 14: Rückkehr von Truppen nach Marburg, Demobilisierung

[187-188]

Die in Frankfurt wie in anderen großen Städten. Hannover, Köln usw. Kommandierenden waren Unteroffiziere der Marine und Matrosen. Auf die Frage, wie sie das bloß fertigbekommen hätten, erwiderten sie ganz gemütlich, sie wären truppweise von Kiel oder Wilhelmshaven losgefahren: ernstlichen Widerstand hätten sie nirgends gefunden und konnten sich deshalb der Gewalt leicht bemächtigen. Ungefähr so hat sich damals Noske1 geäußert, und Ähnliches steht in seinem Buche zu lesen. Nebenbei bemerkt hat der sonderbare Militärgewaltige jener Zeit in seinem Bestreben, einigermaßen Ordnung zu schaffen und nach Zerstörung des alten Heeres Anfänge einer Reichswehr aufzustellen, bei seinen Gesinnungsgenossen keine große Zustimmung gefunden: denn als ich eines Tages, an der Elisabethkirche stehend, hocherfreut zum ersten Male wieder einen kleinen Trupp wohl ausgerüsteter Soldaten in Feldgrau und Stahlhelm in strammer Haltung vorübermarschieren sah, ertönte doch tatsächlich in unserem, im ganzen recht stillen und friedlichen Marburg aus der das ungewohnte Bild am Bordrand bestaunenden Ansammlung von Zuschauern, es war gerade Mittagszeit, der liebliche, mir völlig neue, eine Zeitlang leider gebräuchlich werdende Zuruf: "Noskehunde !", ein Zeichen dafür, wie weit Verhetzung und Unverstand gehen kann.

Am so unbegreiflicher auch deshalb, weil wir hier in Marburg Gelegenheit hatten, das Elend der unmittelbaren Nachkriegszeit aus erster Hand kennenzulernen. Eine der Armeen wurde aus dem Westen nach Marburg geführt, um hier aufgelöst zu werden. Anker den allertraurigsten Umständen erfolgte das Zerschlagen unseres ruhmvollen, in vier Jahren schwerster Kämpfe vorzüglich bewährten Heeres. Was im Großen das ganze Reich betraf, sahen wir hier im Kleinen vor sich gehen. Einzelheiten zu schildern, hat keinen Zweck: doch dreht sich einem das Herz im Leibe herum, wenn man daran denkt, wie das wertvolle, kostbare Heeresmaterial mißachtet, vertan und verschleudert wurde. Die es nicht anders haben wollten sorgten im Laufe der nächsten Zeit dafür, daß etwa noch vorhandene [S. 188] und verborgene Waffenbestände den eifrig danach suchenden Feinden verraten wurden. Die Grenzen des Reiches waren durch vier Jahre vom Heer erfolgreich verteidigt und vor dem Überschreiten durch den Feind geschützt worden, aber nun war es so weit, daß er im Lande herrschen durfte und wertvollstes Gebiet preisgegeben werden mußte. Als Schädlinge, welche diese Zustände herbeiführen halfen, der allgemeinen Empörung zum Opfer fielen, gab es leider noch immer Leute, die ihnen Sympathiekundgebungen veranstalteten und sogar in unserem stillen Marburg mit viel Hallo einen großen Demonstrationszug zusammenbrachten.


  1. Gustav Noske (1868-1946), 1918/19 Volksbeauftragter für Heer und Marine, u.a. zuständig für die Niederschlagung des sog. Spartakusaufstands im Januar 1919.

Personen: Korschelt, Eugen · Noske, Gustav
Orte: Frankfurt · Hannover · Köln · Kiel · Wilhelmshaven · Marburg
Sachbegriffe: Unteroffiziere · Matrosen · Marine · Novemberrevolution · Spartakusaufstand
Empfohlene Zitierweise: „Eugen Korschelt, Erinnerungen des Marburger Zoologen und Rektors, 1914-1919, Abschnitt 14: Rückkehr von Truppen nach Marburg, Demobilisierung“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/63-14> (aufgerufen am 20.04.2024)